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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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sich daraus für die Politik der einzelnen Mächte ergaben. Bereits im November 1814 geriet der Kongreß über der polnischen Frage in eine schwere Krise. Rußland wollte sich das ganze, von Napoleon errichtete Herzogtum Warschau, die Hauptmasse Polens also, einverleiben und Preußen dafür mit Sachsen entschädigen, das von allen deutschen Staaten am längsten zum Kaiser der Franzosen gehalten hatte: ein Tauschgeschäft, auf das König Friedrich Wilhelm III. gegen den Rat Hardenbergs einzugehen bereit war. Österreich, England und Frankreich sahen darin die Grundlegung einer russischen Hegemonie über Europa und schlossen sich am 3. Januar 1815 gegen diese Gefahr zu einem Geheimbündnis zusammen. Es waren Meldungen über das ernste Zerwürfnis zwischen den Großmächten, die Napoleon den Anstoß gaben, im März 1815 sein Exil auf Elba in Richtung Frankreich zu verlassen.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte man sich in Wien jedoch längst schon auf einen Kompromiß verständigt: Der größere Teil des Herzogtums Warschau wurde als «Königreich Polen», das sogenannte «Kongreßpolen», mit Rußland in Personalunion verbunden; Österreich erhielt Galizien, aber ohne Krakau, das in einen Freistaat unter dem Schutz der drei Teilungsmächte verwandelt wurde; Preußen wurden Westpreußen mit Danzig und Thorn, dazu ein großes polnischsprachiges Gebiet um Posen, das künftige «Großherzogtum Posen», zugesprochen, von Sachsen aber, das als Königreich erhalten blieb, nur der nördliche und östliche Teil mit Halle, Wittenberg, Bautzen und Görlitz. Zum Ausgleich erhielt der Hohenzollernstaat auf Betreiben Englands ein großes, wirtschaftlich hochentwickeltes Gebiet an Mosel, Rhein und Ruhr, das Trier, Aachen, Koblenz, Köln, Essen und Münster umschloß.
    Im Mai 1815 gelangte auf Grund einer preußisch-britisch-dänischen Absprache noch ein weiteres Gebiet in den Besitz Preußens: Vorpommern mit Rügen und Greifswald, das Schweden im Jahr zuvor als Kompensation für die Auflösung der dänisch-norwegischen Personalunion an Dänemark abgetreten hatte. Der dänische König wurde dafür in Personalunion Herzog von Lauenburg, während Preußen Ostfriesland, das nördliche Münsterland, Hildesheim und Goslar dem wiedererstandenen, mit England in Personalunion verbundenen Königreich Hannover überließ.
    Österreich gab auf dem Wiener Kongreß den Anspruch auf die Wiederherstellung seiner Herrschaft über die ehedem habsburgischen Niederlande endgültig auf: Belgien wurde mit Holland zum Königreich der Vereinigten Niederlande zusammengeschlossen, was England zu einem kontinentalen Puffer gegenüber Frankreich verhalf. Als Ausgleich für den Rückzug vom Rhein konnte Österreich Salzburg erwerben, Tirol und das Trentino zurückgewinnen und seine Vormachtstellung in Italien und an der dalmatinischen Küste ausbauen: Die Lombardei und Venetien wurden ebenso wie Istrien und Dalmatien Teil des Habsburgerreiches, das Herzogtum Modena sowie das Großherzogtum Toskana österreichische Sekondogenituren, also von Angehörigen des Hauses Habsburg regierte, von Wien abhängige Staatsgebilde. Parma ging an die ehemalige französische Kaiserin Marie Luise, die Tochter Kaiser Franz’ II., und sollte nach deren Tod an die dortigen Bourbonen zurückfallen, was 1847 geschah. Der Kirchenstaat wurde wiederhergestellt, ebenso die bourbonische Herrschaft über Süditalien, das nun das Königreich beider Sizilien mit der Hauptstadt Neapel bildete. Das Haus Savoyen erhielt Sardinien und Piemont zurück; dazu bekam es Ligurien mit Genua und Nizza. Die Schweiz erlangte unter internationaler Anerkennung ihrer «immerwährenden Neutralität» und ihrer bestehenden Grenzen ihre Unabhängigkeit zurück.
    England, der konsequenteste Gegner Napoleons, begnügte sich vordergründig mit geringen Gebietserweiterungen: Es behielt sechs Inseln, die es zwischen 1796 und 1807 besetzt hatte, nämlich Malta, Helgoland, Ceylon, Mauritius, Trinidad und Tobago sowie das 1806 eroberte Kapland im Süden Afrikas. Im November 1815 folgte die Proklamation eines britischen Protektorats über die Ionischen Inseln vor der Westküste Griechenlands. In Portugal errichtete Großbritannien eine Art Militärdiktatur unter dem englischen General Beresford, dem Befehlshaber des portugiesischen Heeres. Die königliche Familie war Ende 1807 vor der französisch-spanischen Invasion nach Brasilien geflüchtet; erst 1821, nach einem revolutionären Umsturz, kehrte König Johann VI. nach Lissabon

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