Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
zurück. An der engen Bindung Portugals an Großbritannien änderte sich dadurch nichts.
Tatsächlich war England, neben und vor Rußland, der Hauptgewinner des Wiener Kongresses. Die neue «balance of power» auf dem europäischen Kontinent erlaubte es Großbritannien, seinen Einfluß außerhalb Europas zielstrebig auszubauen und, gestützt auf seine Flotte und seine industrielle Überlegenheit, zur führenden Weltmacht des 19. Jahrhunderts aufzusteigen. Auf England mehr noch als auf Rußland, die andere Flügelmacht, bezieht sich das Verdikt Ludwig Dehios über den Ausgang der napoleonischen Epoche: «Deutlicher als je bisher bezahlt das alte Festland die Fortdauer seines freien Staatensystems mit der Auswanderung seiner Macht.»
Die territoriale Neuordnung Europas trug alle Züge eines absolutistischen Gebietsschachers. Auf den Willen der Bevölkerung kam es nicht an, lediglich auf die Interessen der mächtigeren unter den Staaten. «Legitim» war die Ordnung von 1815, weil auch die neuen Herrscher alten Dynastien entstammten. Alexander I. versuchte zwar, die Vereinbarungen des Wiener Kongresses in Form der «Heiligen Allianz» religiös zu überhöhen: Das entsprechende, von ihm entworfene, von Metternich stark überarbeitete Manifest unterzeichneten zunächst, am 26. September 1815 in Paris, Zar Alexander I. von Rußland, Kaiser Franz I. von Österreich und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, in der Folgezeit alle europäischen Staaten bis auf das Osmanische Reich, den Papst und England. (Lediglich für seine Person und als König von Hannover schloß sich der Prinzregent, der Prince of Wales und spätere König Georg IV., der seit 1811 den geisteskrank gewordenen Georg III. vertrat, dem Bund an.) Das Bekenntnis zu den christlichen Geboten der Gerechtigkeit, der Liebe und der Friedfertigkeit blieb aber ein Stück Papier. Dasselbe galt von der Beschwörung der «einen christlichen Nation», als deren Glieder die drei Erstunterzeichner sich und ihre Untertanen bezeichneten («membres d’une même nation chrétienne»).
Bedeutsamer als die «Heilige Allianz» war fürs erste die Quadrupelallianz zwischen Rußland, Österreich, Preußen und England, die am 20. November 1815 anläßlich der Unterzeichnung des zweiten Pariser Friedens abgeschlossen wurde und den Status quo gegenüber allen Arten von revolutionärer Bedrohung sichern sollte. 1818 wurde auf einem Kongreß in Aachen auch Frankreich wieder offiziell in den Kreis der Großmächte, die sogesannte Pentarchie, aufgenommen. Aber auch dieses Bündnis, das eine Art von kollektiver Hegemonie begründen sollte, vermochte die Interessengegensätze zwischen den Unterzeichnerstaaten nicht dauerhaft zu überwölben. Auf die Grundsätze der «Heiligen Allianz» beriefen sich bald nur noch die konservativen Ostmächte Rußland, Österreich und Preußen, und auch sie konnten dies gemeinsam nur tun, wenn sie im konkreten Fall zu einer übereinstimmenden Beurteilung der Lage gelangten.
Für einen Teil Europas, das Gebiet des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, wurde am 8. Juni 1815, gemäß einer Bestimmung des ersten Pariser Friedens vom Mai 1814, eine verfassungsähnliche Sonderregelung vereinbart: die Deutsche Bundesakte, die tags darauf in die abschließende Kongreßakte einging und damit zu einem völkerrechtlichen Vertrag wurde. Staatsrechtlich bildete die Bundesakte einen Vertrag zwischen den Mitgliedern des Deutschen Bundes. Mitglieder waren neben den Freien Städten alle souveränen Fürsten Deutschlands, darunter der Kaiser von Österreich und der König von Preußen, beide jeweils für die Besitzungen, die vormals dem Alten Reich angehört hatten, der König von Dänemark als Herzog von Holstein und Lauenburg und der König der Vereinigten Niederlande als Großherzog von Luxemburg. Da auch das Königreich Hannover einen Staat des Deutschen Bundes bildete, war, solange die Personalunion zwischen Hannover und England bestand, auch der König von Großbritannien und Irland ein Mitglied des Bundes.
Die Festlegung auf die Grenzen des Alten Reiches hatte zur Folge, daß von den habsburgischen Besitzungen zwar Böhmen und Mähren, «Welschtirol» um Trient, ferner Triest und Krain, also tschechisch, italienisch oder slowenisch sprechende Regionen, zum Bundesgebiet gehörten, nicht aber Galizien, Ungarn und Lombardo-Venetien. Entsprechendes galt für Preußen: Nicht nur das neue Großherzogtum Posen blieb außerhalb des
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