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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Klassiker wie Platon. Das gesamte, vom Staat streng überwachte Erziehungswesen unterlag der Verpflichtung, die Werte von «Orthodoxie, Autokratie und nationalem Selbstbewußtsein» hochzuhalten und westlichen Ideen kämpferisch entgegenzutreten.
    An der Lage der Leibeigenen änderte sich unter Nikolaus I. nichts, da der Zar einen Konflikt mit den Gutsbesitzern unter allen Umständen vermeiden wollte. Das Ausbleiben einer Agrarreform wirkte sich nachteilig auf die Industrialisierung Rußlands aus. Die frühen Fabrikanten hingen davon ab, daß ihnen Gutsbesitzer Leibeigene als Arbeitskräfte verpachteten; für freie Lohnarbeit kamen nur bisherige Staatsbauern in Frage. In der Roheisenproduktion, in der Rußland um 1800 weltweit führend gewesen war, wurde es in den folgenden Jahrzehnten von England überholt. Auch technologisch konnte Rußland mit dem Westen nicht Schritt halten. So mächtig das Zarenreich im Hinblick auf seine schiere Ausdehnung und die Größe seiner Armee schien, durch seine gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Rückständigkeit wirkte es unter Nikolaus I. auf den aufgeklärten Westen fremdartig und abschreckend wie nie zuvor in seiner Geschichte.[ 63 ]
    Revolutionen im Mittelmeerraum: Spanien, Portugal, Italien, Griechenland
    Zu Beginn der 1820er Jahre wurde der europäische Mittelmeerraum durch eine Welle von revolutionären Erhebungen erschüttert. Den Anfang machte Spanien. Der Bourbonenkönig Ferdinand VII. hatte nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil im März 1814 eine konsequente Restauration betrieben, Säuberungsprozesse (procesos de purificación) gegen Kollaborateure der napoleonischen Zeit eingeleitet, andere «afrancesados», also Parteigänger der Franzosen, des Landes verwiesen, die Gewerbefreiheit abgeschafft, zahlreiche Zeitungen verboten, Universitäten und Theater geschlossen und die Inquisition wieder eingeführt. Die Verfassung von 1812, die Constitución de Cádiz, und alle Gesetze der Cortes waren bereits im Mai 1814 für nichtig erklärt, die liberalen Verfassungsfreunde ins Gefängnis geworfen oder ins Exil getrieben worden.
    Das Problem der Staatsfinanzen bekam keines der kurzlebigen Kabinette Ferdinands in den Griff. Die Loslösung der lateinamerikanischen Kolonien vom Mutterland, die 1810 begonnen hatte, ging nach 1814 weiter; ihre unmittelbare Folge war ein drastischer Rückgang der staatlichen Einnahmen aus dem Kolonialhandel, eine mittelbare Folge ein rückläufiges Steuereinkommen, hervorgerufen durch den Niedergang von Wirtschaftszweigen wie der Textilindustrie in Katalonien und der Landwirtschaft in Kastilien, die in starkem Maß vom Absatz ihrer Erzeugnisse in den spanischen Kolonien abhingen.
    Von der breiten Bevölkerung war die Rückkehr Ferdinands bejubelt worden. Gegen seinen harten Restaurationskurs formierte sich aber sogleich Widerstand in den Reihen des Militärs und namentlich bei den vielen Tausenden von Offizieren, die 1814 aus der französischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren. Das Offizierskorps hatte sich in den Jahren des Unabhängigkeitskrieges den bürgerlichen Schichten geöffnet und wehrte sich nun gegen die Absicht des Königs, die Offizierslaufbahn wieder an eine adlige Herkunft zu binden. Unzufrieden waren auch ehemalige Guerillaführer, von denen es manche in den Jahren vor 1814 bis zu Generälen gebracht hatten. Soweit es nach dem Willen der älteren Berufsoffiziere ging, sollten die früheren Partisanenführer nicht ins stehende Heer aufgenommen werden. Es war daher alles andere als ein Zufall, daß bei den zahlreichen Offiziersrevolten der Jahre 1814 bis 1820, den sogenannten «Pronunciamientos», einstige Guerilleros eine wichtige Rolle spielten.
    Zum Erfolg führte erst die Militärrevolte, die Anfang 1820 in Cádiz und Umgebung ihren Ausgang nahm: Sie erreichte ihr Ziel, die Rückkehr zur Verfassung von 1812 und die Wahl neuer Cortes. Der Urheber des Pronunciamiento, Oberst Rafael de Riego, machte sich zum Sprecher der Soldaten, die in Cádiz darauf warteten, nach Lateinamerika verschifft zu werden, wo sie einen Kampf führen sollten, den sie ablehnten: den Kampf gegen die Unabhängigkeitsbewegung der spanischen Kolonien. Die erhoffte Volksbewegung blieb zwar auch diesmal aus, dafür aber schlossen sich mehrere Garnisonen im nördlichen Spanien dem Putsch im liberalen Cádiz an. Schlagkräftige Truppen, die für das neoabsolutistische Regime zu kämpfen bereit waren, gab es nicht mehr. Deswegen

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