Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
fügte sich Ferdinand VII. in das Unvermeidliche und versprach am 7. März 1820, die Verfassung von 1812 anzuerkennen und sich künftig an sie zu halten. Tags darauf leistete er vor Vertretern eines revolutionären Gremiums, des provisorischen Stadtrats von Madrid, den Eid auf die Constitución de Cádiz.
Auf das Pronunciamiento von 1820 folgte ein dreijähriges konstitutionelles Zwischenspiel. In den neugewählten Cortes hatten die Liberalen eine breite Mehrheit, die aber in sich völlig uneins war: Den gemäßigten «moderados», die sich auf das gebildete und besitzende Bürgertum stützten und die Verfassung von 1812 den veränderten Verhältnissen anpassen wollten, standen die radikalen «exaltados» gegenüber. Sie hatten ihren stärksten Rückhalt im Kleinbürgertum der großen Städte und traten für die unveränderte Beibehaltung der Cortes-Verfassung ein. Auf der Seite der «exaltados» standen die zahlreichen politischen Clubs von Madrid und namentlich die «Comuneros», die enge Verbindungen zur Geheimgesellschaft der italienischen Carbonari unterhielten. Die meisten Liberalen, gleichviel ob gemäßigte oder radikale, waren aktive Freimaurer: eine Gemeinsamkeit, die aber nicht im mindesten dazu beitrug, den Kampf zwischen beiden Richtungen abzumildern. Denn auch bei den Freimaurern gab es den Unterschied zwischen gemäßigten und radikalen Logen.
Die innere Spaltung der Liberalen lähmte immer wieder die Arbeit der Cortes und gab den «realistas», den königstreuen Kräften, Auftrieb, die Spanien wieder absolutistisch regiert sehen wollten, an ihrer Spitze Ferdinand VII. Seit 1821 stand der König in geheimer Verbindung zu den Mächten der «Heiligen Allianz», die er zum Eingreifen in Spanien drängte. Auf dem Kongreß der fünf europäischen Großmächte, der sogenannten «Pentarchie», in Verona, dem letzten Treffen dieser Art, sprachen sich im Herbst 1822 Rußland, Österreich, Preußen und Frankreich gegen den Protest des britischen Außenministers Canning für eine Intervention zugunsten der Sache der Legitimität, also Ferdinands VII., aus. Die Durchführung oblag Frankreich, das seine Truppen im April 1823 über die Pyrenäen schickte. Bewaffneten Widerstand gab es kaum; die Bevölkerung verhielt sich, anders als beim Einmarsch der napoleonischen Streitmacht im Jahre 1808, völlig passiv. Am 1. Oktober 1823 wurde Ferdinand in Cádiz aus den Händen der Liberalen befreit. Der König konnte nun mit dem beginnen, was er sich vorgenommen hatte: der Wiederherstellung des Absolutismus. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin beließ Frankreich noch bis 1828 ein starkes Truppenkontigent in Spanien.
Die Jahre 1823 bis 1833, von der französischen Intervention bis zum Tod Ferdinands, gelten in Spanien als die «década ominosa», das unheilvolle Jahrzehnt. Es begann damit, daß die aufständischen Offiziere von 1820, unter ihnen Riego, gruppenweise gehängt und politische Säuberungsprozesse gegen bekannte und weniger bekannte Liberale durchgeführt wurden. Doch wie nach 1820 die Liberalen, so spalteten sich nun, nach 1823, auch die Royalisten: Die gemäßigten unter ihnen begnügten sich mit der Entmachtung der Liberalen, die radikaleren, die man die «realistas puros», die reinen Royalisten, oder auch die «apostolicos» nannte, wollten den Liberalismus ein für allemal vernichten. Der König kam den Ultras zwar weit entgegen, mußte sich aber schon aus Rücksicht auf Frankreich um eine gewisse Mäßigung im Kampf gegen die Liberalen bemühen. Dazu gehörte, daß Ferdinand sich einer abermaligen Wiedereinführung der Inquisition verweigerte.
Die Empörung der Ultraroyalisten über die Kompromißpolitik des Königs ging so weit, daß sie Ende 1826 einen Thronwechsel forderten: Ferdinand sollte durch seinen noch weit konservativeren Bruder Karl ersetzt werden – ein Ansinnen, dem dieser eine Absage erteilte. Im Jahr darauf begann in den Bergen Kataloniens ein Aufstand der armen, streng katholischen Landbevölkerung, der von den «apostolicos» und vom Klerus unterstützt, vom Militär aber blutig niedergeschlagen wurde. Die Ziele der «agraviados», der «beschwerten» Landleute, waren rückwärtsgewandt, an der umfassenden Wiederherstellung der Königsgewalt und des Bundes von Staat und Kirche ausgerichtet. 1827 wurden diese Ziele nicht erreicht, nach dem Tod Ferdinands im September 1833 aber wurden sie wieder aufgegriffen – im ersten der drei «Karlistenkriege», in denen das klerikale und
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