Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
stützenden Liberalen daran dachten, diesem Herrscher die Einigung Deutschlands anzuvertrauen.
Mit dem preußischen Staat mußte dennoch weiter gerechnet werden. So wenig wie die Habsburgermonarchie war das alte Preußen im März 1848 zusammengebrochen. Ihre frühen Erfolge verleiteten viele Liberale zu dem Irrtum, daß sie die Kraftprobe mit den alten Gewalten bereits gewonnen hatten. Am 29. März trat zwar auch in Berlin ein «Märzministerium» zusammen; ihm gehörten die rheinischen Liberalen Ludolf Camphausen als Ministerpräsident und David Hansemann als Finanzminister an. Aber die Grundlagen des preußischen Adels-, Beamten- und Militärstaates waren nicht ernsthaft erschüttert worden und die Bauern weithin ruhig geblieben. Die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen war groß genug, um sich revolutionär zu entladen. Doch einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit wünschte nur eine kleine Minderheit. Die gemäßigten Liberalen wußten, daß sie den Hohenzollernstaat brauchten, um Deutschland zu einigen und nach außen zu schützen, daß sie ihn vielleicht auch benötigen würden, wenn es galt, radikalen Kräften den Weg an die Macht zu verlegen. Das Ziel der Liberalen konnte infolgedessen nur sein, das Königreich Preußen voll und ganz in den Dienst der eigenen und damit der deutschen Sache zu stellen.
Zwei Tage nach der Bildung des Märzministeriums in Berlin, am 31. März 1848, trat in Frankfurt am Main das sogenannte «Vorparlament» zusammen. Es war eine Notabelnversammlung von über 500 Liberalen und Demokraten, darunter freilich nur zwei Österreichern, die in der einstigen Krönungsstadt der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation vier Tage lang über die politische Zukunft Deutschlands berieten. Wäre es nach der linken Minderheit um Friedrich Hecker und Gustav von Struve gegangen, hätte das Vorparlament sofort beschlossen, eine revolutionäre Exekutive einzusetzen und aus Deutschland eine föderative Republik nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika zu machen. Die Mehrheit unter der Führung Heinrich von Gagerns wußte das jedoch zu verhindern. Sie wollte die Revolution nicht weitertreiben, sondern möglichst in einen Prozeß friedlicher Evolution auf dem Boden der Monarchie überleiten. Das Zentrum der Macht sollte als Vertretung des souveränen Volkes ein deutsches Parlament sein, das nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht von allen volljährigen deutschen Männern zu wählen war.
Einigkeit bestand im Vorparlament darin, daß Schleswig, Ost- und Westpreußen in den Deutschen Bund aufgenommen werden und Abgeordnete in das deutsche Parlament entsenden sollten. Offen blieb hingegen zunächst die Beteiligung des Großherzogtums Posen, das überwiegend polnisch übersiedelt war. Bis zum Zusammentritt der deutschen Nationalversammlung sollte ein vom Vorparlament eingesetztes Gremium, der Fünfzigerausschuß, mit dem Bundestag zusammenwirken, in dem jetzt Vertreter der «Märzregierungen» den Ton angaben. Das Verhältnis der beiden Institutionen gestaltete sich harmonisch. Der Bundestag faßte in der Regel die Beschlüsse, die ihm das Vorparlament und danach der Fünfzigerausschuß vorlegten.
Als folgenreich erwies sich, daß Hecker und Struve nicht in den Fünfzigerausschuß gewählt worden waren. Der äußerste linke Flügel der revolutionären Bewegung sah seitdem die Gegenrevolution auf dem Vormarsch und warf den gemäßigten Liberalen, besonders den in der radikalen Hochburg Baden regierenden, Verrat an der Revolution vor. Am 13. April schritt Hecker zur Tat: Mit etwa fünfzig seiner Getreuen begann er in Konstanz einen Marsch, der in der Ausrufung der deutschen Republik gipfeln sollte. Binnen weniger Tage wuchs der Zug auf über tausend an. Der Umsturzversuch fand nicht zufällig im gleichen Gebiet statt, das um dieselbe Zeit auch von judenfeindlichen Ausschreitungen der Bauern erschüttert wurde: Im südlichen Baden, einer armen, noch kaum industrialisierten, von Heimarbeit und kleiner Landwirtschaft geprägten Gegend, bildete wirtschaftliche Rückständigkeit den Nährboden für politischen Radikalismus aller Art.
Der Fünfzigerausschuß sah in Heckers Putsch aus guten Gründen einen Anschlag auf die Wahlen zur Nationalversammlung, die auf Anfang Mai angesetzt waren. Vermittlungsversuche gemäßigter Demokraten zeitigten keinen Erfolg, woraufhin badische und Bundestruppen zum Einsatz gegen die Rebellen beordert wurden. Das Militär
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