Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
umstritten waren hingegen von Anfang an die Entscheidungen in der Posenfrage. Das Vorparlament hatte am 31. März 1848 die Teilung Polens noch als «schmachvolles Unrecht» bezeichnet und sich zur «heiligen Pflicht des deutschen Volkes» bekannt, an der Wiederherstellung Polens mitzuwirken. Eine Festlegung auf die Grenzen vor der ersten polnischen Teilung von 1772 enthielt der Beschluß jedoch nicht. Offen blieb, ob die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung auch im Westen des Großherzogtums Posen stattfinden sollten. Der Bundestag nahm am 22. April auf Antrag Preußens die vorwiegend deutsch besiedelten Teile dieses Gebiets, am 2. Mai auch die Stadt Posen und den Kreis Samter in den Deutschen Bund auf. In den folgenden Monaten wurde die Grenzlinie von der deutschen Nationalversammlung aus strategischen Gründen noch zweimal weiter nach Osten, in rein polnischsprachiges Gebiet hinein, vorgeschoben. Der Versuch, aus polnischen Untertanen des Königs von Preußen wider ihren Willen Bürger eines deutschen Nationalstaats zu machen, stieß auf heftigen Widerstand, von dem sogleich noch die Rede sein wird. Die Polen empfanden das Vorgehen der Deutschen als das, was es war: als neuerliche Teilung ihres Territoriums und als Verleugnung alles dessen, was das Vorparlament den Polen soeben noch feierlich versprochen hatte.
Den tschechisch sprechenden Untertanen des Kaisers von Österreich blieb ein solches Schicksal erspart. Das Wahlgesetz, das der Bundestag am 7. April beschlossen hatte, galt zwar für das gesamte Gebiet des Deutschen Bundes, also auch für sie. Als jedoch der Fünfzigerausschuß den berühmten Historiker František Palacky zur Teilnahme an seinen Beratungen nach Frankfurt einlud, erhielt er von diesem eine abschlägige Antwort. Palacky bezeichnete sich als «Böhme slawischen Stammes», der kein Deutscher sein wolle und sich wenigstens nicht als solcher fühle. Er legte ein ausdrückliches, ja bewußt pathetisches Bekenntnis zum österreichischen Kaiserstaat ab, der die Aufgabe habe, der von Rußland ausgehenden Gefahr einer neuen, diesmal sich slawisch gebenden Universalmonarchie entgegenzutreten. «Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müßte im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.» Europas «Schild und Hort gegen asiatische Elemente aller Art» könne Österreich aber nur sein, wenn es nicht länger die sittliche Grundlage seiner Existenz verkenne und verleugne: «den Grundsatz der vollständigen Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller unter seinem Szepter vereinten Nationalitäten und Konfessionen».
Ob Palackys Landsleute wie er selbst am Kaiserreich der Habsburger festhielten oder bereits an einen eigenen tschechischen Staat zu denken begannen, in einem waren sie sich einig: Sie weigerten sich, an der Einigung Deutschlands teilzunehmen. Die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung fanden deshalb nur in den rein deutschsprachigen Gebieten und im gemischtnationalen Prag, nicht aber in den überwiegend tschechisch besiedelten Teilen Böhmens und Mährens statt. Nicht anders war es in den slowenischen Wahldistrikten Kärntens, Krains und der Steiermark. Mit der Ausnahme von Triest und «Welschtirol» entsandten nur die deutschsprachigen Gebiete Österreichs Abgeordnete nach Frankfurt. Das Parlament, das dort am 18. Mai 1848 zusammentrat, wollte eine deutsche Nationalversammlung sein, und zu einer solchen wurde es auch.[ 88 ]
Revolution und Konterrevolution im östlichen Mitteleuropa
Die Abwehr der mitteleuropäischen Revolutionen von 1848 setzte, kaum daß sie begonnen hatten, von Osten her ein. Im preußischen Großherzogtum Posen durchkreuzte König Friedrich Wilhelm IV. die polenfreundliche Politik des liberalen Außenministers Heinrich Alexander von Arnim-Suckow, indem er Anfang April Truppen zusammenziehen ließ, die die vom Berliner Märzministerium als «fait accompli» hingenommene Bildung polnischer bewaffneter Verbände wieder rückgängig machen sollten. Die geheime Separatpolitik des Königs zielte darauf ab, der von seiner Regierung versprochenen «nationalen Reorganisation» Posens, die über kurz oder lang zu einem Krieg mit Rußland führen konnte, einen Riegel vorzuschieben. Arnim hingegen rechnete offenbar wie viele Liberale mit der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit einer russischen Intervention in Polen: ein Gedanke, dem ein vom Zaren persönlich verfaßtes Manifest an das russische
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