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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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früher oder später aufeinander prallen. Es war dieser Klassengegensatz, der der französischen Revolution von 1848 von Anfang an seinen Stempel aufdrückte.[ 87 ]
    Die Märzrevolutionen in Deutschland
    Der Sturz der Julimonarchie im Februar 1848 war, anders als der Umsturz in Palermo im Monat zuvor, ein Ereignis von europäischer Bedeutung. Es hatte sogleich Auswirkungen östlich des Rheins und südlich der Alpen; es leitete eine Vielzahl von Folgerevolutionen ein, die sich zu einer übergreifenden Revolution summierten – der ersten und letzten «großen europäischen Revolution», von der Reinhart Koselleck zu Recht spricht.
    Die europäische Revolution von 1848/49 erfaßte nicht ganz Europa. In Südosteuropa hatte sie, abgesehen von den russischen Protektoraten Moldau und Walachei, keine, in Großbritannien, Schweden, Norwegen nur schwache unmittelbare Auswirkungen. Rußland wurde von der Revolution nur insofern berührt, als die Staatsmacht bei ihrer Niederwerfung in Ostmitteleuropa eine höchst aktive Rolle spielte. Die Revolutionszone umfaßte Frankreich, Deutschland, das preußische Großherzogtum Posen, die Habsburgermonarchie, Italien, in abgeschwächter Form auch die Niederlande und Dänemark, die beide liberale Verfassungen erhielten, und die Schweiz, die ihre eigentliche Revolution in Gestalt des Sonderbundskrieges freilich schon im Jahr zuvor erlebt hatte.
    Ein gemeinsames Merkmal der Revolutionen von 1848/49 war das Streben nach einer freiheitlichen Verfassung. In Deutschland wie in Italien kam dazu das Ziel der nationalen Einheit. Freiheit und Einheit, einen Verfassungs- und einen Nationalstaat zur gleichen Zeit zu erreichen war ein ungleich ehrgeizigeres Programm als das der Revolution von 1789. Einen Nationalstaat, wenn auch einen der vormodernen, absolutistischen Art, gab es in Frankreich damals schon; es ging darum, ihn auf eine gänzlich neue gesellschaftliche Grundlage zu stellen und in einen bürgerlichen Rechts- und Verfassungsstaat zu verwandeln. Und als ob die selbstgewählte Aufgabe «Einheit und Freiheit» nicht bereits die Gefahr einer Überforderung der Liberalen und Demokraten in sich geschlossen hätte, mußten diese sich auch noch mit den Forderungen von Schichten auseinandersetzen, die von einem politischen Führungsanspruch des gebildeten und besitzenden Bürgertums nichts wissen wollten: den Bauern auf der einen, den Arbeitern auf der anderen Seite. Es gab mithin nicht nur eine, sondern mindestens zwei soziale Fragen, die sich auf die Tagesordnung der Revolution drängten.
    Kosellecks Ortsbestimmung der europäischen Revolution von 1848 gewinnt ihre Überzeugungskraft aus dem historischen Vergleich. 1789 war eine französische Revolution mit einer französischen Vorgeschichte; für die Revolutionen von 1848 waren die Pariser Ereignisse vom Februar höchstens der Anlaß, aber nicht die Ursache. So unterschiedlich die jeweiligen Vorgeschichten waren, so bildete bürgerliches und nationales Emanzipationsstreben doch ein verbindendes Kennzeichen. 1789 war eine Revolution, aus der Kriege mit revolutionären Wirkungen hervorgingen; nach 1848 gab es nur noch Revolutionen, die aus Kriegen hervorgingen. Die Revolutionen von 1848 hingegen hatten allesamt spontanen Charakter. Der europäische Zusammenhang dieser Revolutionen war allen Akteuren bewußt. In Kosellecks Worten: «Europa war zwar kein Handlungssubjekt, aber es bleibt das Referenzsubjekt, ohne das die einzelnen Prozesse nicht begriffen werden können. Chausseebauten, Eisenbahnen und Telegrafen schufen schon vor 1848 ein zusammenhängendes Kommunikationsnetz, das die einzelnen Aufstände wie durch kommunizierende Röhren miteinander verband.»
    Daß einer neuen französischen alsbald eine deutsche Revolution folgen werde, hatte Marx schon Anfang 1844 vorhergesagt: «Wenn alle inneren Bedingungen erfüllt sind, wird der deutsche Auferstehungstag verkündet werden durch das Schmettern des gallischen Hahns.» Vier Jahre später war es so weit. Bereits am 27. Februar übersprang der revolutionäre Funke den Rhein. An diesem Tag verabschiedeten badische Liberale und Demokraten auf einer Versammlung in Mannheim eine Petition an die Regierung in Karlsruhe. Darin forderten sie Pressefreiheit, Schwurgerichte, Repräsentativverfassungen in allen deutschen Staaten und ein deutsches Parlament. Tags darauf stellte der Abgeordnete Heinrich von Gagern im Landtag von Hessen-Darmstadt den Antrag auf Einberufung einer Nationalrepräsentation und,

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