Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
beiden Ländern nach den Grundsätzen der reinen Personalunion zu ordnen, also nicht staatsrechtlicher, sondern dynastischer Natur war.
    Die Mehrheit der Paulskirche bejahte Ende Oktober also im Prinzip die großdeutsche Lösung, verlangte aber als Preis die Auflösung der Habsburgermonarchie. Diese Konsequenz des Artikels 3 lehnten in der Abstimmung 90 Abgeordnete ab. Einige ihrer Sprecher schlugen statt dessen einen deutschen Bundesstaat ohne Österreich vor, der sich mit dem gesamten Habsburgerreich zu einem Staatenbund zusammenschließen sollte. Der prominenteste Verfechter des Gedankens eines engeren und eines weiteren Bundes war der Präsident der deutschen Nationalversammlung, Heinrich von Gagern. Für die «kleindeutsche» Lösung sprach, daß anders ein deutscher Nationalstaat seit dem Herbst 1848 kaum noch vorstellbar erschien. Zu diesem Ergebnis gelangten in den Oktoberdebatten der Paulskirche nicht nur Liberale aus dem nichtösterreichischen Deutschland wie Gagern und der westfälische Landrat Georg von Vincke, sondern auch der konservative Wiener Jurist Eugen von Mühlfeld, dem es vor allem um die Erhaltung des österreichischen Gesamtstaates ging.
    Zur Bewahrung des habsburgischen Vielvölkerreiches bekannte sich mit besonderem Nachdruck Gagern. Wenn das geeinte Deutschland sich hinter Österreichs Mission stelle, sagte er am 26. Oktober 1848, nämlich die «Verbreitung deutscher Kultur, Sprache und Sitten längs der Donau bis an das Schwarze Meer», würden die deutschen Auswanderer, die jetzt nach Westen, nach Amerika, gingen, sich diesem Raum zuwenden. Der Beruf des deutschen Volkes als eines «großen weltgebietenden Volkes» sei es, «daß wir diejenigen Völker, die längs der Donau zur Selbständigkeit weder Beruf noch Anspruch haben, wie Trabanten in unser Planetensystem einfassen». Für die kleindeutsche Lösung einzutreten hieß also keineswegs dem Gedanken nationaler Selbstbescheidung zu huldigen. Daß Deutschland zusammen mit Österreich Mittel- und Südosteuropa beherrschen müsse, war für Gagern und seine politischen Freunde ebenso selbstverständlich wie für den 1846 aus dem Leben geschiedenen Nationalökonomen Friedrich List und dessen württembergischen Landsmann, den liberalen Publizisten und Politiker Paul Pfizer, die ähnliche Vorstellungen schon im Vormärz vertreten hatten.
    Die typischen «Kleindeutschen» waren evangelisch. Sie gehörten zu den gemäßigten Liberalen oder seltener, zu den moderaten Konservativen, waren Besitz- oder Bildungsbürger, brachten Preußen ein gewisses Maß an Sympathie und Vertrauen entgegen und waren nördlich des Mains sehr viel häufiger anzutreffen als im Süden Deutschlands. Die «Großdeutschen» kamen aus sehr unterschiedlichen Richtungen. Die Demokraten und viele Liberale dachten nicht daran, ihren Begriff von «deutschem Volk» dynastischen Interessen anzupassen und auf das deutsche Österreich nur deswegen zu verzichten, weil dieses mit anderen Völkern einen gemeinsamen Herrscher hatte. Wie ein großdeutscher Nationalstaat nach dem Sieg der Gegenrevolution in Österreich noch errichtet werden konnte, war freilich unklar. Für die Katholiken war der Gedanke schwer erträglich, in einem von Preußen und den Protestanten dominierten kleindeutschen Nationalstaat leben zu müssen. Die Furcht vor der Trennung von Österreich und der Wunsch, das katholische Habsburgerreich zu erhalten, wogen bei manchem von ihnen so schwer, daß das Ziel der nationalen Einigung Deutschlands darüber in den Hintergrund trat.
    Die Festlegung auf das Gebiet des Deutschen Bundes in Artikel 1 des Verfassungsentwurfs schloß einen Anspruch auf Gebiete ein, die nicht oder nur zum kleineren Teil zum deutschen Sprachraum gehörten, nämlich Böhmen und Mähren, Teile von Kärnten, Steiermark und Krain sowie «Welschtirol». Daß die Tschechen, Slowenen und Italiener, die dort lebten, keine Deutschen waren oder werden wollten, störte die Mehrheit der Nationalversammlung nicht: Was historisch mit Deutschland verbunden war, sollte deutsch bleiben. Den «nichtdeutschen Volksstämmen» wurde in einer Erklärung vom 31. Mai 1848 lediglich das Recht auf «volkstümliche Entwicklung» und die Gleichberechtigung ihrer Sprache in Kirchenwesen, Unterricht, Literatur, innerer Verwaltung und Rechtspflege zugestanden. Besonders schwer wog das strategisch und wirtschaftlich begründete Interesse an Triest, das Deutschland als Tor zum Mittelmeer dienen sollte: Am 20. Juni drohte die

Weitere Kostenlose Bücher