Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Paulskirche den piemontesisch-lombardisch-venezianischen Streitkräften, ein Angriff auf Triest wäre eine Kriegserklärung an Deutschland.
Mit den Rechten anderer Völker geriet die Nationalversammlung auch dort in Konflikt, wo sie über das Territorium des Deutschen Bundes hinausgriff. Das galt für die dänischsprechenden Nordschleswiger wie für die in Preußen lebenden Polen. Nach mehrtätiger Debatte sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten am 27. Juli 1848 dafür aus, entsprechend zwei vorangegangenen Beschlüssen des Bundestages vom 24. April und 2. Mai das Großherzogtum Posen so zu teilen, daß nicht nur die deutschsprachigen, sondern auch einige überwiegend polnischsprachigen Gebiete, darunter die Stadt Posen, an Deutschland fielen. Der aus Ostpreußen stammende, in Berlin gewählte Abgeordnete Wilhelm Jordan, ein Demokrat, der im Sommer 1848 zur linken Mitte wechselte, rechtfertigte in seiner Rede vom 24. Juli die Teilung Polens als historisch unvermeidbar und bekannte sich in diesem Zusammenhang offen zum «Recht des Stärkeren, der Eroberung» und zum «gesunden Volksegoismus». Auf die Seite der Polen stellte sich nur die äußerste Linke. Sie verneinte die Zugehörigkeit der Provinz Posen zum Deutschen Bund und forderte den Ausschluß der dort gewählten Mitglieder der Nationalversammlung. Ihr Sprecher, Arnold Ruge, war dabei konsequent genug, einen Befreiungskrieg gegen das russische Zarenreich, die Vormacht der europäischen Reaktion, zu fordern – einen Krieg, von dem er behauptete, er wäre «der letzte Krieg, der Krieg gegen den Krieg, der Krieg gegen die Barbarei, welche der Krieg ist».
Ende Oktober 1848 fand die Idee eines engeren und weiteren Bundes, also einer bundesstaatlichen Einigung des außerösterreichischen Deutschland und eines Staatenbundes zwischen Deutschland und ganz Österreich, noch so wenig Zustimmung, daß Gagern einen entsprechenden Antrag wieder zurückzog. Einen Monat später änderte sich die Lage: Am 27. November erteilte Schwarzenberg vor dem österreichischen Reichstag in Kremsier den Beschlüssen der deutschen Nationalversammlung vom 27. Oktober eine klare Absage. Er nannte den Fortbestand Österreichs ein deutsches und ein europäisches Bedürfnis, und erst wenn das verjüngte Österreich und das verjüngte Deutschland zu neuen und festen Formen gelangt seien, werde es möglich sein, ihre gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen. Bis dahin werde Österreich seine Pflichten als Mitglied des Deutschen Bundes getreulich erfüllen.
Das Nein zur großdeutschen Lösung ließ der Paulskirche nüchtern betrachtet nur noch Raum für die kleindeutsche Lösung. Der Position des aus Österreich stammenden Reichsministerpräsidenten Schmerling hatte Schwarzenberg mit seiner Rede jedenfalls den Boden entzogen. Am 15. Dezember trat Schmerling zurück. Seine Nachfolge trat Gagern an. In dessen Amt als Präsident der deutschen Nationalversammlung wurde Eduard Simson aus Königsberg gewählt, ein getaufter Jude und wie Gagern Mitglied des rechtsliberalen «Casino». Der neue Reichsministerpräsident versuchte sogleich, seine Vorstellungen vom engeren und weiteren Bund in die Tat umzusetzen, hatte damit aber bei Schwarzenberg nicht den geringsten Erfolg.
Der österreichische Ministerpräsident stellte der groß- und kleindeutschen Lösung sein eigenes Projekt entgegen: einen Zusammenschluß des nichtösterreichischen Deutschland und der gesamten Habsburgermonarchie. Ein von Österreich dominierter Staatenbund, der von Nord- und Ostsee bis Galizien und Dalmatien reichte, hätte einem deutschen Nationalstaat einen festen Riegel vorgeschoben und stieß eben deshalb in der Paulskirche auf empörten Widerspruch. Der Greifswalder Abgeordnete Georg Beseler, ein gebürtiger Schleswig-Holsteiner, nannte am 13. Januar 1849 das «Reich der Mitte, welches Europa beherrscht mit 70 Millionen», ein «politisches Ungetüm»: «Dieses Reich der Mitte nehmen wir nicht an, das würde Europa nicht zugeben, und das würde Deutschland nicht befriedigen.» Reichsfinanzminister Hermann von Beckerath, wie Beseler Abgeordneter des rechtsliberalen «Casinos», zog am 12. Januar 1849 aus dem Verhalten Schwarzenbergs den Schluß: «Das Warten auf Österreich ist das Sterben der deutschen Einheit.»
Hinter der kleindeutschen Lösung, für die sich seit Anfang 1849 vor allem schleswig-holsteinische Parlamentarier stark machten, stand aber auch um diese Zeit erst eine knappe relative Mehrheit der
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