Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Ablehnung. Der Leiter der Wiener Politik sah in dem preußischen Vorstoß das, was er war: ein Versuch, sein eigenes Projekt, die Schaffung eines großen, von Österreich geführten mitteleuropäischen Blocks zu vereiteln.
Sachsen und Hannover hingegen stellten sich auf den Boden der preußischen Vorschläge. Am 26. Mai unterzeichneten Vertreter der drei Königreiche in Berlin das «Dreikönigsbündnis». Es schloß den von dem preußischen General Joseph Maria von Radowitz, einem Freund und Berater Friedrich Wilhelms und ehemaligen Abgeordneten der Paulskirche, verfaßten Entwurf einer «Unionsverfassung» ein, die in zwei wesentlichen Punkten von der Reichsverfassung vom 28. März 1849 abwich: Das Reichsoberhaupt verfügte über ein absolutes Veto gegen Beschlüsse des Reichstags, und das Volkshaus des Reichstags wurde nicht nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht, sondern nach dem besitzfreundlichen Dreiklassenwahlrecht gewählt, das im gleichen Monat durch königlichen Octroi, also auf dem Weg des Staatsstreichs, in Preußen eingeführt worden war. Sachsen und Hannover banden ihren Beitritt zur geplanten Union allerdings an einen Vorbehalt: Auch die anderen deutschen Staaten, außer Österreich, mußten sich ihr anschließen.
Das preußische Projekt einer deutschen «Union» stieß bei den politischen Lagern Deutschlands auf ein geteiltes Echo: Die demokratische Linke lehnte jede Mitwirkung ab; die ehemaligen «Erbkaiserlichen» verständigten sich Ende Juni 1849 bei einem Treffen in Gotha auf eine Beteiligung. Von den deutschen Staaten schlossen sich die meisten in den folgenden Monaten dem Dreikönigsbündnis an: Bayern und Württemberg verweigerten sich jedoch. Als Preußen Mitte Oktober im «Verwaltungsrat» der Union den Beschluß durchsetzte, im Januar 1850 Wahlen zum Volkshaus abzuhalten, zogen sich unter dem massiven Druck Schwarzenbergs auch Sachsen und Hannover von der Unionspolitik zurück. Der Reichstag wurde trotz heftiger österreichischer Proteste zum vorgesehenen Zeitpunkt gewählt; er trat im März 1850 in Erfurt zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und verabschiedete im April den inzwischen überarbeiteten Entwurf der Unionsverfassung. Ohne Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover, die sich am 27. Februar 1850 ihrerseits zu einem «Vierkönigsbündnis» zusammengeschlossen hatten, konnte die Union aber nicht mehr sein als ein Torso: ein Ergebnis, das für die liberalen Unterstützer der preußischen Politik ebenso enttäuschend war wie für den Hohenzollernstaat selbst, der darum auch wohlweislich darauf verzichtet hatte, für das Staatsoberhaupt der Union auf den Titel «Kaiser» zurückzugreifen.
Auf einem nach Berlin einberufenen Fürstenkongreß zeigte sich dann Anfang Mai 1850, daß nur zwölf der 26 Mitgliedstaaten bereit waren, die Erfurter Unionsverfassung vorbehaltlos anzuerkennen. Das Treffen endete mit einem Kompromiß: Die Union sollte provisorisch bis zum 15. Juli 1850 fortgesetzt, ein Bundesministerium aber vorerst nicht gebildet werden. Die österreichische Antwort auf die preußische Unionspolitik war die Einberufung einer Konferenz aller Mitglieder des (nie formell aufgelösten) Deutschen Bundes auf den 10. Mai nach Frankfurt mit dem Zweck, den Deutschen Bund wiederherzustellen. Preußen und die anderen Unionsstaaten nahmen an der Konferenz teil, lehnten aber die Wiedereinberufung des Bundestages ebenso ab wie einen neuerlichen Versuch Schwarzenbergs, das gesamte Habsburgerreich in den Deutschen Bund aufzunehmen. Die Folge war, daß am 2. September 1850 in Frankfurt lediglich ein Rumpfbundestag unter dem Vorsitz Österreichs zusammentrat und die Mitglieder der von Preußen geführten Union ihr Bundesverhältnis provisorisch, aber unbefristet fortsetzten. Um dieselbe Zeit gelang es Preußen, ein anderes österreichisches Vorhaben zu durchkreuzen: Auf einer Generalkonferenz des Deutschen Zollvereins, die von Juli bis Oktober 1850 in Kassel stattfand, vereitelte Berlin den Plan des Wiener Handelsministers von Bruck, das Habsburgerreich und den Zollverein in einer mitteleuropäischen Zollunion zusammenzuschließen und damit der politischen Mitteleuropavision Schwarzenbergs ein materielles Fundament zu verschaffen. Daß Österreich sich mit dieser Niederlage abfinden würde, durfte allerdings keiner der beteiligten Staaten erwarten.
Auch auf der europäischen Ebene verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Preußen und Österreich im Sommer und Herbst 1850 erheblich.
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