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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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erfüllte); er führte das allgemeine gleiche Wahlrecht wieder ein und kündigte eine neue Verfassung an, die durch ein Plebiszit ratifiziert werden sollte. Mehrere Wortführer der Linken und prominente Vertreter der Ordnungspartei, darunter die Generäle Cavaignac und Changarnier, wurden verhaftet, für kurze Zeit auch Tocqueville, Barrot und der frühere Erziehungsminister Falloux, der Urheber der Märzgesetze von 1850, nachdem sie sich dem Putsch entgegengestellt hatten. Entgegen den Erwartungen des Präsidenten gab es verbreiteten Widerstand gegen sein Vorgehen, und zwar nicht nur in den handwerklich oder proletarisch geprägten Teilen von Paris, wo es am 3. und 4. Dezember zu Straßenschlachten und Barrikadenkämpfen kam, sondern auch unter Kleinbürgern und Bauern in der Provinz. Bis zum 4. Dezember hatte die Armee Aufstandsversuche in größeren Städten, unter ihnen Toulouse und Marseille, niedergeworfen; bis zum 10. Dezember war sie auch der Unruhen in kleineren Landstädten Herr geworden. Die Zahl der Verhafteten, die monatelang auf ihren Prozeß warten mußten, ging in die Zehntausende.
    Am 21. und 22. Dezember 1851 ließ Louis-Napoleon den Putsch durch ein Plebiszit legitimieren. Die männlichen Franzosen, die das 21. Lebensjahr vollendet hatten, waren aufgerufen, durch ihr Ja die Autorität Louis-Napoleons zu erhalten und ihn zu einem Verfassungsentwurf auf der Linie der Proklamation vom 2. Dezember zu ermächtigen. 7,5 Millionen folgten dem Appell, 640.000 stimmten dagegen, 1,5 Millionen enthielten sich. Louis-Napoleon konnte sich fortan als den «Gewählten von 7 Millionen» (l’élu de sept millions) bezeichnen. Der Titel «Prince-Président», den er seit dem Dezember 1851 führte, wirkte bereits als Andeutung des nächsten Zieles des Präsidenten: der Wiederherstellung des Kaisertums.
    Der Putsch vom 2. Dezember 1851 wirkte in vielem wie die nachahmende Wiederholung jenes Staatsstreiches, durch den sich Napoleon Bonaparte am achtzehnten Brumaire des Jahres VIII, dem 9. November 1799, zum Ersten Konsul gemacht hatte. 52 Jahre zuvor war kein Blut geflossen, aber ebenso wie diesmal die verfassungsmäßige Ordnung durch einen Usurpator gewaltsam beseitigt worden. Wie damals spielte auch jetzt das Militär eine ausschlaggebende Rolle, und wie nach dem 18. Brumaire des Jahres VIII wurde auch nach dem 2. Dezember 1851 ein Plebiszit herbeigeführt, das dem Gewaltakt nachträglich den Schein einer demokratische Legitimation verschaffte.
    Die neue Verfassung stellte der Prince-Président, anders als sein Onkel, freilich nicht mehr zur Abstimmung. Sie wurde in der Präambel als Vollzug der Vollmachten dargestellt, die das französische Volk durch das Votum vom 20. und 21. Dezember 1851 dem Präsidenten übertragen hatte. Nach der Verfassung vom 14. Januar 1852 war der Präsident faktisch der Alleinherrscher. Er allein besaß das Recht der Gesetzesinitiative und das Begnadigungsrecht; in seinem Namen wurde die Rechtsprechung ausgeübt. Die aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene gesetzgebende Körperschaft durfte die Gesetze lediglich beraten und beschließen, aber nicht durch Amendements ergänzen. Ein Senat aus Kardinälen, Marschällen und Admiralen und vom Staatsoberhaupt ernannten Mitgliedern hatte das Recht, Gesetzen entgegenzutreten, die die bürgerlichen Freiheiten beschränkten oder die Verteidigung des Staatsgebiets gefährdeten; er durfte die Verfassung in strittigen Fällen interpretieren oder ergänzen sowie die Verfassung der Kolonien und Algeriens regeln. Vorschläge für Gesetze und Verwaltungsregeln konnte ein vom Präsidenten eingesetzter und geleiteter Staatsrat unterbreiten. Die Macht der Parteien im allgemeinen und jener der Linken im besonderen sollte dadurch gebrochen werden, daß die Abgeordneten der Nationalversammlung nicht mehr über Listen gewählt werden durften; es galt ein Mehrheitswahlrecht, das den örtlichen und regionalen Notabeln zugute kam. Da jedem Departement nur wenige Mandate zustanden, wurden die ländlichen und kleinstädtischen Stimmen gegenüber denen aus den Großstädten privilegiert. Bei den Wahlen der Nationalversammlung vom 29. Februar 1852 schafften nur acht oppositionelle Kandidaten, fünf Legitimisten und drei Republikaner, den Sprung in die Kammer. Sie verzichteten allesamt freiwillig auf die Ausübung ihres Mandats.
    In seiner Anfang 1852 verfaßten Schrift «Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte» hat Marx den Staatsstreich vom 2. Dezember 1851

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