Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Hohenzollern, um je ein Hasardeur und plebiszitär regierender Führer wie Napoleon III. zu werden.
Der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt hat «die große deutsche Revolution» von 1866 eine «abgeschnittene Krisis ersten Ranges» genannt. «Ohne dieselbe wäre in Preußen das bisherige Staatswesen mit seinen starken Wurzeln wohl noch vorhanden, aber eingeengt und beängstigt durch die konstitutionellen und negativen Kräfte des Innern; jetzt überwog die nationale Frage die konstitutionelle bei weitem. Die Krisis wurde nach Österreich hineingeschoben, welches seine letzte italienische Position verlor und mit seiner polyglotten Beschaffenheit gegenüber allem Homogenen, zumal von Preußen, in eine immer gefährlichere Stellung geriet.»
Der deutsche Krieg von 1866 hatte in der Tat eine Umwälzung der politischen Verhältnisse in Deutschland bewirkt. Die Herstellung der preußischen Hegemonie mit Hilfe militärischer Gewalt markierte das Ende jenes Dualismus zwischen den Häusern Habsburg und Hohenzollern, der seit dem Regierungsantritt Friedrich des Großen im Jahre 1740 die deutsche Geschichte geprägt hatte. Die Revolution von oben war zugleich die preußische Antwort auf die Revolution von 1848, die im Hinblick auf ihr Hauptziel, die Gewinnung von Einheit und Freiheit, gescheitert war. Der Krieg von 1866 brachte die Deutschen der Einheit ein großes Stück näher, indem er die großdeutsche Lösung ausschloß und ein wesentliches Hindernis der kleindeutschen Lösung beseitigte. Das Schicksal der Freiheit aber war weiter offen.
Die preußischen Liberalen, die Bismarcks verfassungswidrige Politik vier Jahre lang bekämpft hatten, wurden durch den Ausgang des Krieges zu einer Überprüfung ihrer eigenen Politik gezwungen. Am 3. Juli 1866, dem Tag der Schlacht bei Königgrätz, erlitt die Fortschrittspartei bei den preußischen Landtagswahlen eine schwere Niederlage: Die Zahl ihrer Mandate sank von 143 auf 83. Nahm man die Fortschrittspartei und das Linke Zentrum zusammen, so verfügten die «entschiedenen Liberalen» nur noch über drei Fünftel der Sitze, die bei der vorausgegangenen Wahl im Oktober 1863 auf sie entfallen waren: 148 statt 247. Die Konservativen waren die eindeutigen Gewinner: Sie erhielten 136 statt bisher 53 Mandate. Die Wähler hatten also die Vertreter des parlamentarischen Legalismus geschwächt und jene Kräfte gestärkt, die sich als die wahren preußischen Patrioten präsentierten.
Dank der militärischen Siege des alten Preußen und der politischen Niederlage der liberalen Opposition war Bismarck in der angenehmen Lage, nun auch dem innenpolitischen Gegner einen Frieden zu seinen Bedingungen anbieten zu können. Dem Ministerpräsidenten war seit langem bewußt, daß das alte Preußen, das Preußen der Hohenzollern, der Junker und des Militärs, ohne Verständigung mit dem industriellen und dem gebildeten Bürgertum und der von beiden getragenen liberalen Nationalbewegung nicht überleben konnte. Worauf es ankam, war, daß das alte Preußen bei dem anzustrebenden Ausgleich seine wesentlichen Interessen wahren konnte. Dieser Einsicht folgend, hatte er bereits im Oktober 1862 angekündigt, daß er das Abgeordnetenhaus eines Tages um die nachträgliche Billigung der während der budgetlosen Zeit getätigten Staatsausgaben ersuchen werde. Dieses Versprechen löste er jetzt ein. Am 5. August 1866 gab König Wilhelm I. in seiner Thronrede zur Eröffnung des Landtags seiner Hoffnung Ausdruck, die Abgeordneten würden der Regierung nunmehr die «Indemnität» erteilen, das zuvor als verfassungswidrig bewertete Handeln der Regierung also im nachhinein für rechtens erklären. Den entsprechenden Gesetzesentwurf legte die Regierung am 14. August vor.
Was Bismarck den Abgeordneten vorschlug, kam der Quadratur des Kreises gleich: Das Indemnitätsgesetz war ein rückwirkendes Ermächtigungsgesetz, das im Augenblick seiner Verabschiedung außer Kraft trat. Ein Schuldeingeständnis war mit der Vorlage nicht verbunden, auch nicht das Versprechen, nie wieder ohne parlamentarisch bewilligtes Budget zu regieren. Aus ebendiesem Grund lehnten die Demokraten und alle «Linken» in der Fortschrittspartei den Gesetzentwurf ab. Anders die Abgeordneten des rechten oder nationalen Flügels: Für sie hatte die Geschichte dem Ministerium Bismarck die Indemnität bereits erteilt; das Haus der Abgeordneten tat also gut daran, dasselbe zu tun. Am 3. September 1866 wurde das Gesetz mit 230 gegen 75 Stimmen
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