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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Nordamerika, ermöglicht durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes in den Vereinigten Staaten und den Schiffsverbindungen zwischen beiden Seiten des Atlantiks. Der Mezzogiorno versank in einer wirtschaftlichen Depression, die bis heute anhält. Da die Bevölkerung in der Region selbst keine Arbeit und keine ausreichende Nahrung fand, begaben sich zahllose Süditaliener in den industrialisierten und vergleichsweise wohlhabenden Norden oder wanderten nach Übersee, vor allem in die USA und nach Argentinien, aus. In den Jahren 1886 bis 1890 verlor Italien jährlich etwa 220.000 Menschen durch Emigration.
    Die wirtschaftliche Ausdehnung des Nordens nach den Einigungskriegen förderte die Entstehung einer selbständigen italienischen Arbeiterbewegung. Bis 1871 hatten die industriellen Arbeiter ganz überwiegend auf der Seite Mazzinis gestanden. Als ihr Idol aber in der neuen Zeitung «La Roma del Popolo» die Kommune und die Internationale Arbeiter-Assoziation scharf angriff, wandten sich viele, ebenso wie Garibaldi, von Mazzini ab und der Internationale zu. Innerhalb der IAA standen die italienischen Sozialisten wie Andrea Costa, Enrico Malatesta und Carlo Cafiero der anarchistischen Richtung um Bakunin nahe, der sich 1868 der Internationale angeschlossen hatte, dann aber mit Marx überwarf und 1872 zusammen mit seinen Anhängern aus der IAA ausgeschlossen wurde. Wie die Sektionen in Spanien und der französischen Schweiz beteiligte sich auch die italienische Sektion der IAA mit ihren über 30.000 Mitgliedern im September 1873 aktiv an der Gründung der neuen, von Bakunin geprägten Anti-autoritären Internationale: eine Spaltung, die mit dazu beitrug, daß sich die Erste Internationale im Juli 1876 auf einem Kongreß in Philadelphia auflöste.
    Im August 1874, vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise nach dem Wiener Börsenkrach vom Vorjahr, unternahm die italienische Sektion unter Beteiligung Bakunins einen Aufstandsversuch in Bologna, der aber kläglich scheiterte. Die Anziehungskraft anarchistischer Ideen hielt dennoch an: Solange die italienischen Arbeiter vom Wahlrecht ausgeschlossen waren, schied eine parlamentarische Interessenvertretung aus. Einer straffen nationalen Organisation des Proletariats, wie Marx und Engels sie forderten, standen die extremen Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien entgegen. Die von Bakunin verherrlichte direkte Aktion von unten hingegen erschien als geeignete Form, den eigenen Forderungen Nachdruck zu verschaffen.
    Eine Änderung des Wahlrechts zugunsten breiter Schichten der Bevölkerung war solange nicht zu erwarten, als die Destra Storica die Regierungen stellte. Am 18. März 1876 beendete eine «parlamentarische Revolution» die Vorherrschaft der Rechten: Ein Teil der bisherigen Mehrheit stimmte im Zusammenhang mit der geplanten, aber heftig umstrittenen Verstaatlichung der Eisenbahnen zusammen mit der Linken gegen die Regierung des Ministerpräsidenten Marco Minghetti. Das neue Kabinett wurde von einem Politiker der Linken, Agostino Depretis, einem einstigen Mitstreiter Garibaldis in Sizilien, gebildet. Die Destra Storica hatte seit ihrer Gründung durch Cavour ihre Hochburgen im Norden, die Linke eher im Süden. Die Kabinette der Linken wechselten häufig; im Jahrzehnt nach 1876 wurden sie entweder von Depretis oder dem etwas weiter links stehenden Benedetto Cairoli geführt. Unter der Vorherrschaft der Linken setzte sich der sogenannte «trasformismo», eine in vielem der «République opportuniste» in Frankreich nach 1879 ähnliche «Politik der Veränderung» durch. «Trasformismo» meinte nach den Worten des Historikers Giuliano Procacci «eine Praxis zur Sicherung einer soliden Mehrheit im Parlament, und zwar entweder durch vorherige Absprache mit den bekanntesten Oppositionellen und eventuell ihre Beteiligung an der Regierung oder Favorisierung und auch Korrumpierung der weniger einflußreichen Hinterbänkler.»
    Zu den gesetzgeberischen Leistungen der Linken gehörten ein Gesetz von 1877, das kostenlose Schulbildung und die allgemeine Schulpflicht für Kinder vom 6. bis zum 9. Lebensjahr einführte und das bestehende Gesetz von 1859 ablöste, das nur zwei Jahre Schulpflicht vorgesehen hatte, sodann die Abschaffung der bei der Landbevölkerung verhaßten Mahlsteuer, die allerdings erst 1884 aufgehoben wurde, und schließlich die Wahlreform von 1881. Das allgemeine gleiche Wahlrecht für Männer forderten um diese Zeit nur die Radikalen, die sich in der von Garibaldi

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