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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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und 1807 war eine größere Zahl von Afrikanern als Sklaven nach Nordamerika gebracht worden als je zuvor, und illegal kamen auch nach 1807, auf dem Weg über Mexiko, noch viele schwarze Sklaven in die USA. [ 225 ]
    Im Dezember 1819 äußerte sich Thomas Jefferson, der Besitzer von etwa 200 Sklaven auf seinen Plantagen in Virginia, in einem Brief an seinen Amtsvorgänger John Adams zu dem von diesem aufgeworfenen Thema der Sklaverei. Anlaß war der heftige öffentliche Streit über die Frage, ob die Sklaverei auch in dem bisher vom Bund verwalteten Missouri-Territorium zugelassen werden sollte, womit sich die Position der Südstaaten weiter verstärkt hätte. Wenn der Kongreß erst einmal die Befugnis habe, so Jefferson, die Verhältnisse der Einwohner der Staaten innerhalb dieser Staaten zu regeln, dann werde der nächste Schritt die Erklärung sein, daß alle Einwohner frei sein sollten. «Sollen wir dann … einen zweiten Peloponnesischen Krieg führen, um die Vorherrschaft zwischen ihnen zu entscheiden? Diese Frage bleibt abzuwarten: aber nicht von Ihnen oder mir, hoffe ich.»[ 226 ]
    Jefferson hatte wie Adams das Geschichtswerk des Thukydides über den Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta in den Jahren 431 und 404 vor Christus gelesen. Es war die Furcht vor einem amerikanischen Bürgerkrieg, der die Nordstaaten veranlaßte, weiterhin einen Zustand hinzunehmen, der mit den unveräußerlichen Menschenrechten und den Grundrechten der ersten zehn Ergänzungsartikel zur amerikanischen Verfassung in schreiendem Widerspruch stand.
    Deswegen endete auch der Missouri-Streit mit einem Kompromiß: Missouri wurde 1821 als Sklavenhalterstaat in die Union aufgenommen, zum Ausgleich aber 1820 auch das sklavenfreie Maine im äußersten Nordosten der USA, das bisher zu Massachusetts gehört hatte, seit längerem jedoch nach Selbständigkeit strebte. Damit gab es ein prekäres Gleichgewicht von elf freien und elf Sklavenhalterstaaten. Außerdem legte der Kongreß eine Nordgrenze fest, jenseits derer es auf dem restlichen Gebiet des riesigen, 1803 von Frankreich erworbenen Louisiana-Territoriums keine Sklaverei geben durfte. Adams und Jefferson, der zweite und der dritte Präsident, erlebten den Kompromiß noch. Sie starben beide am gleichen symbolträchtigen Tag: dem 4. Juli 1826, dem fünfzigsten Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. 35 Jahre später brach der von Jefferson befürchtete amerikanische Bürgerkrieg aus.[ 227 ]
    Für die Geschichte der westlichen Demokratie war das, was im ersten halben Jahrhundert seit der Unabhängigkeitserklärung auf amerikanischem Boden geschah, von größerer Bedeutung als alles, was sich im gleichen Zeitraum in Europa ereignete. Die erste moderne Revolution der Geschichte war, so paradox es klingt, zugleich eine konservative Revolution. Den Gründervätern der Vereinigten Staaten ging es vor allem um die Bewahrung alter, in der britischen Freiheitstradition wurzelnder Rechte, die sie auch für sich in Anspruch nahmen. In den Worten des Juristen und Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel, eines von Hitler in die Emigration gezwungenen deutschen Juden: «Nur eine zutiefst durch eine alte und parlamentarische Tradition geformte politische Elite dürfte in der Lage sein, eine Revolution unter dem Schlachtruf ‹no taxation without representation› zu organisieren und siegreich zu Ende zu führen. Die amerikanische Revolution ist nicht eine Revolte gegen die Prinzipien des englischen Verfassungsrechts, sondern ein Protest gegen deren Verletzung … Man hat nicht zu Unrecht die amerikanische, die ‹dritte englische Revolution› (nach der Puritanischen und der Glorious Revolution, H.A.W.) genannt.»[ 228 ]
    Konservativ war die amerikanische Revolution noch in einem weiteren Sinn. Als James Madison in «Federalist No. 51» die Notwendigkeit einer Regierung mit einem Mangel der menschlichen Natur begründete, sprach er keinen neuen, sondern einen sehr alten Gedanken aus. Daß der Mensch ein von Natur aus der Gemeinschaft bedürftiges und damit staatenbildendes Wesen (physei zóon politikón) sei, hatte schon Aristoteles in seiner «Politik» gelehrt. Seneca sah im Schutz der menschlichen Schwäche eine Notwendigkeit, die jedes Gesetz breche (necessitas magnum imbecillitatis humanae patrocinium omnem legem frangit). Für Pufendorf führte, ähnlich wie zuvor schon bei Hobbes, «aus dem Elend des Naturzustandes, in welchem der durch Schwäche (imbecillitas)

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