Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Amerika wollte anders sein als die alten Nationen Europas, nämlich, wie es in der Nationalhymne heißt, «das Land der Freien», offen für alle, die sich die Werte der Unabhängigkeitserklärung zu eigen machten und zu den Institutionen bekannten, die diese Werte schützen sollten. Die Gründungsväter gaben dem Bewußtsein des Neuanfangs auf pathetische Weise Ausdruck, indem sie in das Staatswappen eine Anspielung auf die Vierte Ekloge Vergils aufnahmen, die schon in frühchristlicher Zeit als heidnische Vorhersage des Erscheinens Christi gedeutet worden war: «novus ordo saeclorum», was sich am besten als «neue Zeitordnung» übersetzen läßt.[ 223 ]
Unter Washington und zunächst auch unter seinem Nachfolger John Adams, der von 1797 bis 1801 Präsident war, gaben die Föderalisten, die Vorläufer der heutigen Republikaner, den Ton an. In der Minderheitsposition waren die Republikaner, aus denen später die Demokraten hervorgingen. Im Gegensatz zu den Föderalisten traten die Republikaner für eine Erweiterung der Volksrechte, also für mehr Demokratie, ein und sprachen damit vor allem die «kleinen Leute», darunter Farmer, Handwerker und Arbeiter, an.
Thomas Jefferson, der nach seiner Tätigkeit als Botschafter in Paris von 1789 bis 1793 Außenminister unter Washington und danach bis 1801 Vizepräsident der Vereinigten Staaten war, stand den Vorstellungen der Republikaner sehr viel näher als denen der Föderalisten. Bereits 1796 war er der republikanische Präsidentschaftskandidat, unterlag aber knapp dem föderalistischen John Adams. Als die «Federalists» unter der Präsidentschaft von Adams immer mehr an Popularität einbüßten, stiegen die Sympathien für den Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung und die Republikaner. Zu ihren führenden Vertretern gehörte längst auch der Mann, der die meisten Beiträge für die «Federalist Papers» verfaßt hatte: James Madison. Er hatte sich 1790 aus Protest gegen die von ihm als zutiefst unsozial empfundene Schuldentilgungspolitik des Finanzministers Alexander Hamilton von den Föderalisten getrennt und den Republikanern zugewandt.
Aus den Kongreßwahlen von 1800 gingen die Republikaner als Sieger hervor. Ein Patt im Wahlmännergremium führte dazu, daß, den in diesem Punkt undurchdachten Regeln der Verfassung entsprechend, das alte Repräsentantenhaus den Präsidenten wählen mußte. Im 36. Wahlgang siegte Jefferson über den Kandidaten der Föderalisten, den bisherigen Vizepräsidenten Aaron Burr. Für die Partei von John Adams und Alexander Hamilton begann damit der politische Niedergang. Dem Lager der Föderalisten blieb jedoch ein Trost: Viele ihrer Ideen, darunter die einer starken Bundesgewalt, hatten sich mittlerweile auch bei den Republikanern durchgesetzt.
Mit Jefferson begann eine neue Ära: Fortan galt «Demokratie» nicht mehr als Pöbelherrschaft, sondern als das, wodurch sich die Vereinigten Staaten positiv von den europäischen Monarchien abhoben. Am Prinzip des «representative government» und den «checks and balances» änderte sich durch die «Jeffersonian Democracy» nichts. Aber die Einsicht, daß repräsentative Demokratie kein Widerspruch in sich, sondern die einzig wirksame Form von Demokratie war, wurde zu einem Kernelement des amerikanischen Selbstverständnisses. 1816, sieben Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt, konnte Jefferson, ohne Widerspruch zu finden, die Behauptung aufstellen, die Amerikaner seien «von der Verfassung her und aus Überzeugung Demokraten» (constitutionally and conscientiously Democrats).[ 224 ]
Vom neuen, positiven Demokratieverständnis unberührt blieb der Skandal der Sklaverei. Zwar war der Besitz von Sklaven seit 1804 in allen nördlichen Staaten der Union verboten, darunter auch in Ohio, das 1803 in die Union aufgenommen worden war; dasselbe galt nach ihrem Beitritt in den Jahren 1816 beziehungsweise 1818 für Indiana und Illinois. Dort aber, wo Sklavenarbeit die wichtigste Grundlage des Wirtschaftslebens bildete, war sie weiterhin erlaubt: in den Südstaaten, zu denen zwischen 1776 und 1819 fünf weitere hinzukamen, nämlich Kentucky, Tennessee, Louisiana, Mississippi und Alabama. Was den Sklavenhandel betraf, so wurde er, als 1807 die von South Carolina und Georgia durchgesetzte Schutzfrist der Verfassung auslief, mit Wirkung vom 1. Januar 1808 verboten (womit die Vereinigten Staaten Großbritannien um wenige Wochen zuvorkamen). Aber in den beiden Jahrzehnten zwischen 1787
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