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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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gründlichen Studium der Klassiker des politischen Denkens von Platon und Aristoteles über Cicero bis zu Hugo Grotius, Locke und Montesquieu. Sie kannten die Werke der griechischen Historiker Plutarch und Polybios, des eigentlichen Vaters der Theorie der Mischverfassung, ebenso wie die «Commentaries on the Laws of England» von William Blackstone, die 1765 in London und 1771 in Philadelphia erschienen waren. Und schließlich waren sie vertraut mit dem, was schottische Moralphilosophen von David Hume bis Adam Smith über den Nutzen der wechselseitigen Ergänzung der Individuen und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung gelehrt hatten.
    Den Begriff der «checks and balances», der Kontrollen und des Gleichgewichts, hat wohl erstmals John Adams, der spätere zweite Präsident der USA, im Januar 1787 im Vorwort zu seiner dreibändigen «Defence of the Constitutions of Government of the United States of America against the Attack of M. Turgot» verwandt. («The checks and balances of republican government have been in some degree adopted by the courts of princes».) Wenige Jahre später, am 23. Januar 1792, nannte es James Madison in einem Beitrag für die «National Gazette» die große Kunst von Politikern, die unterschiedlichen Interessen und Parteien, die es natürlicherweise in jeder politischen Gesellschaft gebe, in «checks and balances of each other» zu verwandeln. Der Sache nach hatte aber schon Blackstone nichts anderes gemeint, als er «das wahrhaft herausragende Merkmal» der englischen Regierungsweise darin erkannte, «daß alle ihre Teile sich wechselseitig in Schach halten» (that all the parts of it form a mutual check upon each other).[ 219 ]
    Die amerikanische Verfassung war eine Mischverfassung im Sinne von Polybios, Locke und Blackstone. Der Präsident, eine Art republikanischer «Patriot King», verkörperte das monarchische, der Senat das aristokratische und das Repräsentantenhaus das demokratische Element. Vorbilder aber sahen die Gründerväter der amerikanischen Union in den antiken Staatswesen nicht mehr. Die vielgelobte Demokratie Athens erschien den historisch gebildeten Föderalisten geradezu als abschreckendes Beispiel.
    So nannte John Adams, ein guter Kenner der griechischen Verfassungsgeschichte, 1797 die grausame Herrschaft der «Dreißig Tyrannen» in Athen in den Jahren 404 und 403 vor Christus die unvermeidliche Konsequenz eines Systems reiner Versammlungsregierung. Hamilton erklärte am 21. Juni 1788 auf dem New Yorker Ratifizierungskonvent, die antiken Demokratien hätten nicht ein einziges Merkmal einer guten Regierung besessen. Sie seien «ihrem Charakter nach Tyranneien und ihrer Form nach Krüppel gewesen. Wenn sich das Volk versammelte, befand sich am Ort der Debatte ein zügelloser Mob, der zur Beratung nicht fähig und zu jeder Ungeheuerlichkeit bereit war.» Madison meinte in «Federalist No. 55», in allen Volksversammlungen mit sehr vielen Teilnehmern, aus welcher Art von Menschen sie auch zusammengesetzt seien, gelinge es der Leidenschaft doch immer, der Vernunft das Szepter zu entreißen. «Wäre auch jeder athenische Bürger ein Sokrates gewesen, so wäre doch immer noch jede Versammlung der Athener eine des Pöbels gewesen.»[ 220 ]
    Das zeitgenössische England war in einem sehr viel höheren Maß als das antike Griechenland ein Vorbild für die Gründerväter der Vereinigten Staaten, aber im wesentlichen doch nur mit Blick auf die «checks and balances» zwischen den Gewalten. Schon «representative government» bedeutete in Amerika etwas ganz anderes als in Großbritannien. Im England des 18. Jahrhunderts war das Parlament zum eigentlichen Souverän aufgestiegen; der Anspruch des Unterhauses, das Volk zu vertreten, stand angesichts des kleinen Kreises der Wahlberechtigten und der höchst ungleichen Größe der Wahlkreise auf tönernen Füßen.
    Das Wahlrecht der Vereinigten Staaten schloß zwar die Frauen, die schwarzen Sklaven und die indianischen Ureinwohner von der politischen Mitbestimmung aus, war im übrigen aber sehr viel weniger eingeschränkt als das britische. Der Historiker Willi Paul Adams kommt zu dem Ergebnis, daß mindestens ein Viertel und höchstens die Hälfte der mündigen, männlichen weißen Bevölkerung aufgrund der Mindestbesitzklauseln keine Abgeordneten in die Einzelstaatsparlamente wählen konnte (was dann zunächst auch für die Wahl des Repräsentantenhauses der Union galt).
    Die Vereinigten Staaten konnten also mit einer gewissen

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