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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Vorstellungen über die vorausschaubare Ordnung des menschlichen Lebens gehabt haben. Aber wenn es darum ging, die Bedeutung des amerikanischen Experiments zu beurteilen, kamen seine Auffassungen von der Bestimmung Amerikas und seine Wertschätzung der amerikanischen Tugenden denen des Deismus außerordentlich nahe. Ob unsere Nation ihr geistiges Erbe mehr aus der Sicht von Massachusetts oder mehr aus der von Virginia deutet, wir begannen unsere Existenz in dem Bewußtsein, eine ‹herausgehobene› (‹separated›) Nation zu sein, die Gott benutzte, um einen Neuanfang mit der Menschheit zu unternehmen.»[ 232 ]
    Sendungsbewußtsein und Selbstbescheidung, Missionarismus und Realismus lagen in der Frühzeit der Vereinigten Staaten nahe beieinander. Sie konnten sich im Idealfall wechselseitig ergänzen und korrigieren, so wie es die Institutionen entsprechend dem Grundsatz der «checks and balances» taten oder tun sollten. Ob eher religiös oder eher philosophisch geprägt, die Gründerväter sahen, ganz in der Tradition von John Locke, in der Regierung die Treuhänderin des Volkes («the trustee of the people») und im Staat einen «trust». Was dem Gemeinwohl diente, ergab sich für sie aus der Willensbildung einer pluralistischen, durch die Vielfalt der Interessen geprägten Gesellschaft und nicht, wie bei Rousseau, aus einem lediglich unterstellten, also autoritär definierten allgemeinen Willen, dem die Gesellschaft sich zu fügen hatte. Die Gründerväter kannten über den von Menschen geschriebenen Gesetzen ein höheres ungeschriebenes, göttliches oder natürliches Recht, und wenn sie, wiederum ganz in der englischen Tradition des 17. Jahrhunderts, von der Herrschaft des Rechts, der «rule of law», sprachen, war dieses höhere Recht ebenso mit inbegriffen wie das überlieferte gemeine Recht, das «common law» mitsamt seinem Beweis- und Prozeßrecht, an das sich auch die Gesetzgebungsorgane gebunden fühlten.[ 233 ]
    Die Unabhängigkeitserklärung, die Menschenrechtserklärungen der Einzelstaaten und der ergänzten Bundesverfassung enthielten Maßstäbe, an denen sich die neue Nation messen lassen mußte. Auf die unveräußerlichen Menschenrechte konnten sich auch jene berufen, denen sie vorenthalten wurden: die aus Afrika eingeführten Sklaven und die indianischen Ureinwohner. Die Verfassungsordnung schuf damit normative Korrektive gegen die Ausnahmeregelungen und verengenden Interpretationen, die 1787/88 die Annahme der Verfassung gesichert hatten. Die Verfassung war, unter strengen Auflagen, nämlich der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Kongresses und einer Dreiviertelmehrheit der Staaten, abänderbar. Sie konnte, wenn nötig, neuen Herausforderungen angepaßt werden. Daß es diese Möglichkeit gab und daß sie genutzt wurde, ist einer der Gründe, weshalb die Verfassung von 1787 noch immer in Kraft ist.
    Europa am Vorabend der Französischen Revolution
    Das aufgeklärte Europa hatte den Unabhängigkeitskampf der nordamerikanischen Siedler mit großer Aufmerksamkeit und viel Sympathie verfolgt. Einige militärisch erfahrene Freiheitsfreunde waren den Kolonisten sogar zu Hilfe geeilt und hatten zu ihrem Sieg über das Mutterland wesentlich beigetragen: der Marquis de Lafayette aus Frankreich etwa, Tadeusz Kosciuszko aus Polen und Washingtons «Drillmaster», der ehemalige preußische, später badische Offizier Friedrich von Steuben. Was die Regierungen und die Öffentlichkeit der europäischen Staaten aber sehr viel mehr beschäftigte als der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, waren gleichzeitige krisenhafte Erschütterungen auf dem «alten Kontinent».[ 234 ]
    Einige dieser Entwicklungen hingen mit dem Befreiungskampf auf der anderen Seite des Atlantiks unmittelbar zusammen. Seit Peter dem Großen eine Seemacht in der Ostsee, hatte sich Rußland unter Katharina II. auch zur Seemacht im Schwarzen Meer entwickelt. Als maritime Macht fühlte sich das Zarenreich durch die englische wie die spanische und französische Seekriegsführung im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg herausgefordert. Katharina antwortete im Februar 1780 mit der Erklärung zur «Bewaffneten Seeneutralität», der sich als erste neutrale Staaten Dänemark und Schweden, dann auch Holland, Preußen, Österreich und selbst das England verbundene Portugal anschlossen.
    Rußland stellte sich damit an die Spitze einer breiten Bewegung zur Sicherung des freien Handelsverkehrs der neutralen Mächte und schrieb

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