Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Bethmann?» Tatsächlich war der deutsche Generalstabschef voreilig tätig geworden. Der Reichskanzler wollte zunächst eine offizielle Bestätigung des russischen Schrittes abwarten. Er erhielt sie kurz vor 12 Uhr während einer Besprechung mit Moltke und Falkenhayn. Um 13 Uhr wurde der «Zustand der drohenden Kriegsgefahr», die unmittelbare Vorstufe der Generalmobilmachung, befohlen. Österreich-Ungarn ordnete unter dem Eindruck von Moltkes Appell die Generalmobilmachung noch am 31. Juli an. Eine Anfrage des britischen Botschafters, ob Deutschland im Kriegsfall die Neutralität Belgiens respektieren werde, beantwortete Staatssekretär von Jagow ausweichend. Dieselbe Anfrage hatte London an die französische Regierung gerichtet. Ihre Antwort kam noch am gleichen Tag und fiel bejahend aus.
Die wichtigsten Aktionen der Reichsleitung am 31. Juli waren zwei Ultimaten: Rußland wurde aufgefordert, binnen zwölf Stunden alle Kriegsmaßnahmen gegen Deutschland und Österreich-Ungarn einzustellen; Frankreich sollte innerhalb von 18 Stunden die Frage beantworten, ob es im Fall eines deutsch-russischen Krieges neutral bleiben würde. In einem Telegramm an Kaiser Franz Joseph forderte Wilhelm II. den Verbündeten auf, die Hauptmasse seiner Streitkräfte gegen Rußland einzusetzen und sie nicht durch eine Offensive gegen Serbien zu zersplittern. Außerdem sollte die Donaumonarchie durch möglichstes Entgegenkommen alles tun, um den Dreibundpartner Italien zur Kriegsteilnahme zu bewegen.
Der 1. August brachte in Berlin, nachdem das Ultimatum abgelaufen war, die deutsche Kriegserklärung an Rußland und die Generalmobilmachung, in Paris den Beschluß des Ministerrats, daß Frankreich seine Bündnispflichten erfüllen werde, und ebenfalls die Generalmobilmachung, in Rom die Erklärung der Neutralität Italiens, da der Krieg kein Verteidigungskrieg sei und deshalb eine Beistandspflicht nach dem Dreibundvertrag nicht bestehe, und in London noch keine endgültige Festlegung der britischen Haltung. Es folgten am 2. August die deutsche Besetzung des neutralen Luxemburg, die Unterzeichnung eines Bündnisvertrages zwischen Deutschland und der Türkei und ein ultimatives Durchmarschbegehren des Deutschen Reiches an Belgien, am 3. August die deutsche Kriegserklärung an Frankreich und am 4. August der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien. Großbritannien reagierte daraufhin mit einem Ultimatum, in dem es Deutschland zur Respektierung der belgischen Neutralität aufforderte. Da Deutschland die Erfüllung dieser Forderung ablehnte, erklärte Großbritannien dem Deutschen Reich um 23 Uhr Ortszeit den Krieg. Zwei Tage später tat Österreich-Ungarn, wozu es von Deutschland seit dem 2. August massiv gedrängt worden war: Es erklärte Rußland den Krieg. Am 23. August ging in Berlin die Kriegserklärung der bisher einzigen asiatischen Großmacht ein. Japan beantwortete damit die deutsche Weigerung, Tsingtau dem fernöstlichen Kaiserreich zu übertragen.
Von einer Großmacht war in den Wochen nach Sarajewo so gut wie nichts zu hören gewesen: den Vereinigten Staaten von Amerika. Am 30. Juli fragte der amerikanische Botschafter in Berlin, James W. Gerard, aus eigenem Antrieb brieflich bei Reichskanzler von Bethmann Hollweg an, ob die USA etwas für die Bewahrung des europäischen Friedens tun könnten. Eine Antwort erhielt er nicht. Eine ähnliche Frage hatte zwei Tage vorher, in offiziellem Auftrag, der amerikanische Botschafter in London, Walter H. Page, an die britische Regierung gerichtet. Grey äußerte sich skeptisch und fragte, ob die Vereinigten Staaten auch in Wien, St. Petersburg und Berlin im gleichen Sinn vorstellig geworden seien. Am 4. und 5. August wurde Präsident Woodrow Wilson selbst aktiv. Er wandte sich in Telegrammen an die Staatsoberhäupter von Österreich-Ungarn, Rußland, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Die Antworten fielen höflich, aber nichtssagend aus. In Europa gab es zu diesem Zeitpunkt keinen Bedarf an den guten Diensten Washingtons. Kaiser Franz Joseph wollte sie aber nicht für immer ausschließen: Wenn die Ehre der Fahne seines Reiches es gestatte und die Kriegsziele erreicht seien, würde die Donaumonarchie gern auf das freundliche Angebot zurückkommen.
Die Völker der kriegführenden Staaten schickten sich in die vollendeten Tatsachen. Es gab in allen Ländern auch die vielbeschworene «Kriegsbegeisterung», aber sie beschränkte sich, sofern man die deutschen, englischen und französischen
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