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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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allem in den fünf Jahren seit dem 18. Brumaire zugewachsen waren. An die Revolution erinnerte im Dezember 1802 in augenfälliger Weise fast nur noch der Revolutionskalender von 1793, den Napoleon erst im folgenden Jahr mit Wirkung vom 1. Januar 1806 zugunsten der überlieferten christlichen Zeitrechnung abschaffte. Auf das Freiheitsversprechen von 1789 zu pochen war inzwischen höchst gefährlich. Es gab, mit manchen Einschränkungen, die Gleichheit vor dem Gesetz und, wenn man nicht gegen den Kaiser opponierte, Rechtssicherheit. Als Ausgleich für das, was fehlte, bot das Empire seine «gloire» und ein gewisses Maß an bürgerlichem Wohlstand.
    Das alte Europa hatte nach wie vor andere Vorstellungen von Legitimität als das nachrevolutionäre Frankreich. Die Monarchen an der Spitze der Staaten, die mit Frankreich diplomatische Beziehungen unterhielten, zollten dem neuen Kaiser den protokollarischen Respekt, auf den er Anspruch hatte. Aber er blieb in den Augen zumindest der Mächtigeren unter ihnen ein Usurpator, ein Produkt der Revolution, ein Feind der alten Ordnung, und Napoleon bestätigte sie in dieser Meinung: Nur wenige Wochen vor der Kaiserproklamation, im März 1804, hatte er einen Angehörigen des Hauses Bourbon, den Duc d’Enghien, unter Bruch des Völkerrechts aus seinem Exil im badischen Ettenheim entführen und nach einem Schnellverfahren in Vincennes erschießen lassen. Für die Behauptung, der Prinz habe Napoleon nach dem Leben getrachtet, gab es keinerlei Beweis. Der politische Mord empörte die Öffentlichkeit in ganz Europa, vor allem aber die, die sich den Bourbonen verbunden fühlten. Für Zar Alexander I. von Rußland war die Bluttat ein wichtiger Grund, seine bisherige neutrale Haltung gegenüber Frankreich aufzugeben und sich England anzunähern.
    Falls Napoleon gehofft haben sollte, nach der weit fortgeschrittenen Auflösung des Heiligen Römischen Reiches bald der einzige Kaiser des Okzidents zu sein, war das ein Irrtum. Am 10. Oktober 1804 verkündete der römische Kaiser Franz II. die Einrichtung des Kaisertums Österreich. Das war ein Bruch der Reichsverfassung und insofern ein revolutionärer Akt, entsprang aber der nüchternen Einsicht, daß nach dem Reichsdeputationshauptschluß die Tage des Alten Reiches gezählt waren. Der Herrscher aus dem Hause Habsburg konnte nunmehr darauf setzen, daß sein Kaisertitel das Heilige Römische Reich überleben würde: ein Kalkül, das sich zwei Jahre später als richtig erweisen sollte.
    Der Mann an der Spitze Frankreichs nannte sich offiziell «Napoleon, von Gottes Gnaden und auf Grund der Verfassung der Republik Kaiser der Franzosen». Die religiöse Formel war notwendig, um in die «Klasse» der Monarchen aufgenommen zu werden und im Lande selbst die Zustimmung der gläubigen Christen zu finden. Die Berufung auf die «Verfassung der Republik» diente dazu, den Schein der Legalität aufrechtzuerhalten. Sie schloß sogar die paradoxe Behauptung in sich, daß Frankreich trotz des Übergangs zur Monarchie eine Republik geblieben war. Der Titel «Kaiser der Franzosen» verwies auf das demokratische, besser pseudodemokratische Mandat, das Napoleon sich durch das Plebiszit vom Juni 1804 verschafft hatte.
    Die Errichtung des Empire war eine Revolution von oben und damit sowohl Gegenrevolution als auch Fortführung der Revolution. Der junge Karl Marx hat 1845 von Napoleon gesagt: «Er vollzog den Terrorismus, indem er an die Stelle der permanenten Revolution den permanenten Krieg setzte.» In der Tat: Die inneren Widersprüche des neuen Kaisertums ließen sich nur durch militärische Erfolge überspielen – Erfolge, die Napoleon halfen, aus dem Empire français den Kern eines Grand Empire zu machen. Der Kaiser verfolgte dabei keinen langfristigen, auf die Abwägung von Chancen und Risiken gegründeten Plan. Er hielt sich lediglich an das Gesetz, nach dem er angetreten war: die unablässige Steigerung der eigenen Macht als Selbstzweck.[ 29 ]
    Das Grand Empire und das Ende des Alten Reiches
    Der Friede von Amiens, den Frankreich im März 1802 mit Großbritannien abgeschlossen hatte, war nur von kurzer Dauer. Napoleon forderte England im September 1802 durch die Annexion Piemonts heraus, nachdem er sich schon zu Beginn des Jahres zum Präsidenten der italienischen Republik, der vormaligen Cisalpinischen Republik, hatte proklamieren lassen (die Umwandlung der Italienischen Republik in ein Königreich Italien und die Selbstkrönung Napoleons im Dom zu

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