Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
kaiserliche Schenkung zusammen mit einem erblichen Titel erhalten hatte.
Das war nichts anderes als die Wiederherstellung des alten «Majorats» und damit die gesellschaftliche Grundlage eines neuen Adels, der «noblesse impériale». Vier Jahre später erhielt die neue Aristokratie durch einen Sénatus-consulte vom 1. März 1808 eine eigene Verfassung: eine Adelsordnung, die alle alten Titel nach dem Lehensrecht, also Ritter, Barone, Grafen und Fürsten, neu erstehen ließ. Die Rückkehr zur Monarchie ging also folgerichtig mit einer Wiederbelebung von Elementen der alten feudalen Ordnung einher. Eine Wiederherstellung des «Feudalismus» aber bedeutete die «noblesse impériale» nicht: Der neue Aufstiegsadel blieb ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie sich seit 1789 herausgeformt hatte.
Zu den Begleiterscheinungen der Kaiserproklamation gehörte ein von Napoleon selbst inszenierter Kult um Karl den Großen. Höhepunkt war ein von der örtlichen Bevölkerung bejubelter Besuch des Kaisers in Aachen, der Hauptstadt des Karolingerreiches, im September 1804. Mit der Anknüpfung an das karolingische Kaisertum ließ Napoleon seinen europäischen Ehrgeiz erkennen. Allzuweit durfte er bei dieser Selbststilisierung freilich nicht gehen. Zur Zeit Karls des Großen hatte es noch keine Franzosen, Deutschen oder Italiener gegeben; sein Reich war nicht national gewesen, und wenn es auch nicht universal war, so war es doch universaler als das spätere Heilige Römische Reich deutscher Nation. Napoleon war zwar der nationale Rahmen zu eng geworden, die nationale Prägung seines Kaiserreiches aber wollte und konnte der von den Franzosen (und nur von ihnen) plebiszitär legitimierte Kaiser nicht aufgeben. Deswegen dachte er im Sommer 1806 auch nicht daran, die Hoffnung des letzten Kurerzkanzlers des Alten Reiches, des früheren Mainzer und jetzigen Regensburger Erzbischofs Karl Theodor von Dalberg, zu erfüllen und sich selbst die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches aufs Haupt zu setzen. Hätte er dies getan, wäre er weniger als zuvor das gewesen, was er vor allem sein wollte: der Kaiser der Franzosen.
Das Empire Napoleons war folglich immer nur als ein von Frankreich geführtes Großreich gedacht. Es sollte Europa eher mittelbar als unmittelbar beherrschen. Ein Sieg über England hätte die Chance in sich geschlossen, auch das Erbe des britischen Empire von Indien bis zu den Westindischen Inseln anzutreten und die Eroberung des Osmanischen Reiches in Angriff zu nehmen. War das Mittelmeer erst ein «mare nostrum» des napoleonischen Empire, konnte dieses sich auch als wiedererstandenes Imperium Romanum fühlen. Das eroberte Grand Empire war ein Projekt ohne angebbare Grenzen, das von Frankreich beherrschte Europa nur die Ausgangsbasis für weitere Eroberungen. Hätte Napoleon seine Visionen verwirklichen können, wäre es keine Übertreibung gewesen, das Grand Empire eine Universalmonarchie neuen Typs zu nennen.
So vage Napoleons Vorstellungen von der künftigen Gestalt und den Grenzen des Empire blieben, so genau waren seine Pläne im Hinblick auf die eigene Kaiserkrönung. Wie im Jahre 800 bei der Krönung Karls des Großen sollte der Papst 1004 Jahre später eine wichtige Rolle spielen. Allerdings verstand sich für Napoleon von selbst, daß diesmal nicht der Kaiser zum Papst nach Rom, sondern der Papst zum Kaiser nach Paris kommen mußte. Auch sollte der Papst den Kaiser lediglich salben und segnen; die Krone wollte sich Napoleon selbst aufs Haupt setzen, um danach Joséphine zu krönen. Papst Pius VII. war nach einigem Zögern bereit, die ihm zugedachte Rolle zu übernehmen. Er bestand aber mit Erfolg darauf, daß Napoleon zuvor seine bislang nur zivilrechtliche Ehe mit Joséphine durch eine kirchliche Trauung besiegeln ließ. Am 2. Dezember 1804 fand dann, mit großem Pomp und in Anwesenheit aller Verfassungsorgane, die Kaiserkrönung in der Kathedrale Notre-Dame in der Form statt, wie Napoleon sie geplant hatte.
Unter den Anwesenden waren viele, die die Abschaffung des Königtums im September 1792 bejubelt und nicht wenige, die vier Monate später der Hinrichtung Ludwigs XVI. zugestimmt hatten. Gegen die Kaiserkrönung Napoleons erhob niemand von ihnen Einwände. Im Gegenteil: Sie fühlten sich in gewisser Weise mitgekrönt. Der feierliche Akt vom 2. Dezember 1804 legitimierte die neuen Verhältnisse und damit auch die persönlichen Besitzstände, die ihnen in den fünfzehn Jahren seit 1789 und vor
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