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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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unverkennbar zurückgegangen, nachdem es Sowjetrußland gelungen war, seine außenpolitische Isolierung auf andere Weise zu durchbrechen. Wenige Tage nach der Berliner Konferenz der drei Internationalen begann in Genua eine Weltwirtschaftskonferenz, das erste internationale Treffen, zu dem die Regierungen der Westmächte auch Sowjetrußland eingeladen hatten. Aus Moskauer Sicht war es nützlich, die eigenen Interessen auf
allen
Ebenen zu vertreten, der Regierungsebene ebenso wie der Klassenebene. «Realpolitik» im Verhältnis zwischen der Sowjetregierung und den kapitalistischen Mächten und revolutionäre, von Moskau finanziell und personell massiv unterstützte Untergrundarbeit bis hin zu gewaltsamen Umsturzversuchen in ebendiesen Staaten standen in keinem unauflösbaren Widerspruch zueinander, wenn man sie in ihrem «dialektischen» Zusammenhang sah. Und so wichtig Europa für die Sache der Weltrevolution war, es gab auch andere Erdteile, in denen es das kapitalistische Weltsystem herauszufordern galt: in den Kolonien und Halbkolonien Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, in denen vorerst keine kommunistische, sondern zunächst einmal national-bürgerliche Revolutionen auf der Tagesordnung standen.
    Im September 1920 bereits organisierte das EKKI einen Kongreß der Arbeiter und Bauern des Nahen Ostens in Baku, auf dem Sinowjew zum «Heiligen Krieg» gegen das imperialistische England aufrief. Im Januar 1922 tagte erst in Moskau, dann in Petrograd der Erste Kongreß der kommunistischen und revolutionären Organisationen des Fernen Ostens, an dem neben den Kommunistischen Parteien Chinas, Japans, Koreas und Holländisch-Indiens sowie revolutionären Gruppen aus der Mongolei auch Vertreter der nationalistischen Kuomintang aus Südchina teilnahmen. Die Delegierten verabschiedeten eine Resolution, die die klassische Parole des Kommunistischen Manifests im antikolonialen Sinn erweiterte: «Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der ganzen Welt, vereinigt Euch!» Der Aufruf gipfelte in einer «Kriegserklärung» an die Adresse der japanischen, amerikanischen, englischen, französischen und sonstigen Imperialisten. «Wir erklären Krieg auf Leben und Tod dem käuflichen Nachbetern und Lakaien unserer Unterjocher in China. Wir erklären Krieg auf Leben und Tod dem heuchlerischen amerikanischen Imperialismus und den habgierigen britischen Räubern. Hinaus aus China und Korea, aus Indochina und Holländisch-Indien! Weg von den Inseln des Stillen Ozean! Nieder mit allen Eindringlingen im Fernen Osten!»
    Im November 1922 jährte sich der 5. Jahrestag der Oktoberrevolution. In Moskau tagte um diese Zeit der Vierte Weltkongreß der Kommunistischen Internationale. Lenin, von seinem ersten Schlaganfall kaum genesen, verteidigte in seinem Redebeitrag die Neue Ökonomische Politik, er kritisierte eine Resolution des Dritten Weltkongresses über den organisatorischen Aufbau der Kommunistischen Parteien, weil sie zu sehr vom russischen Geist durchdrungen sei, und zog aus der Entwicklung seit 1917 Schlüsse, die fern von revolutionärer Euphorie waren. Der Gegner könne die Kommunisten leicht zu einem Angriff provozieren und damit auf viele Jahre hinaus zurückwerfen. «Ich meine also, daß der Gedanke, daß wir uns auf die Möglichkeit des Rückzuges vorbereiten müssen, eine sehr große Bedeutung hat, und nicht allein vom theoretischen Standpunkt aus. Auch vom praktischen Standpunkt aus müssen alle Parteien, die sich anschicken, in nächster Zeit zu einer direkten Offensive gegen den Kapitalismus überzugehen, jetzt auch daran denken, wie der Rückzug zu sichern sei.»
    Das Ziel der Weltrevolution hatte Lenin nicht aufgegeben; er bekannte sich vielmehr auch in seiner letzten Rede vor einem Kongreßder Komintern ganz ausdrücklich dazu. Aber er war inzwischen zu der Einsicht gelangt, daß der Weg dorthin sehr viel länger und schwieriger sein würde, als er zur Zeit der Oktoberrevolution geglaubt hatte.[ 11 ]
Drei Wahlen und eine Sezession:
Großbritannien in der Nachkriegszeit
    Als Sinowjew im September 1920 in Baku zum «Heiligen Krieg» aufrief, war das eine Kampfansage nicht nur an die britische Präsenz in Vorderasien, sondern an das Empire überhaupt. In Europa kam als Hauptgegner Sowjetrußlands neben Großbritannien auch Frankreich in Frage, aber im Zweifelsfall sprach auch hier ein gewichtiger Grund für den Vorrang Englands: Die Londoner City war nach wie vor
das
internationale Finanzzentrum, und ebendies

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