Geschichte des Westens
Drohung mit dem Einsatz von Waffengewalt nicht aus. Die liberal-konservative Koalitionsregierung von Premierminister David Lloyd George setzte daher eine Royal Commission unter Vorsitz des hohen Richters Sir John Sankey ein, die die Lage im Kohlenbergbau untersuchen sollte. An dieser Kommission wie an der Ende Februar 1919 berufenen National Industrial Conference beteiligten sich neben Unternehmern und Experten auch die Gewerkschaften und die Labour Party. Ein erster vorläufiger Bericht der Sankey-Kommission, der im März 1919 vorgelegt wurde, trug ihre Handschrift und kam den Forderungen der Bergleute in Sachen Arbeitszeit und Lohnerhöhung weit entgegen. Der endgültige Bericht vom Juni 1919 befürwortete mit einer Stimme Mehrheit, der Stimme Sankey, die Nationalisierung der Kohlengruben. Die Regierung weigerte sich, dieser Empfehlung Folge zu leisten, erfüllte aber einige soziale Forderungen der Bergleute, was eine kurze Beruhigung bewirkte.
Im Juni 1919 traten die Arbeiter der Baumwollfabriken, im Juli die Waliser Bergleute in den Streik, woraufhin die Regierung auch in Wales Militär einsetzte. Im Herbst folgten Streiks der Eisenbahnarbeiter und der Beschäftigten der Werkstätten von Armee und Marine. Soweit die Regierung selbst mit den Gewerkschaften verhandelte, zeigte sie in Fragen der Lohnerhöhung und der Arbeitszeitverkürzung Entgegenkommen. In Sachen Nationalisierung des Bergbaus aber blieb sie hart: Es blieb beim Nein zu den Empfehlungen der Royal Commission.
Als im Frühjahr des Depressionsjahres 1921 die im Krieg eingeführte Staatskontrolle des Kohlenbergbaus zu Ende ging, nahmen die Unternehmer das zum Anlaß, Lohnsenkungen anzukündigen. Die Bergarbeitergewerkschaft, die Miners’ Federation, konterte dies mit der Forderung nach staatlicher Lohnaufsicht und einem nationalen Lohnpool und gewann dafür die Unterstützung der Gewerkschaften der Eisenbahner und der Transportarbeiter, mit denen sie sich 1914 zur «Triple Alliance»zusammengeschlossen hatte. Zum Generalstreik aber, der die Antwort auf die alsbald erfolgte Zurückweisung dieser Forderung durch Regierung und Unternehmer sein sollte, kam es nicht. Unter dem Eindruck eines drohenden Militäreinsatzes ging der Generalsekretär der Bergarbeitergewerkschaft, Frank Hodges, am 15. April 1921, dem «Schwarzen Freitag» der britischen Gewerkschaftsbewegung, auf einen Vermittlungsvorschlag ein, der lediglich eine zeitweilige Lohnerhöhung bringen sollte. Der Vorstand der Miners’ Federation lehnte den Vorschlag zwar ab, die Gewerkschaften der Eisenbahner und Transportarbeiter aber fühlten sich ihrer Solidaritätspflicht nunmehr enthoben. Die «Triple Entente» war zerbrochen.
Die isolierten Bergleute traten dennoch in den Streik, der bis zum Juli 1921 dauern sollte. Am Ende des Ausstands stand eine Vereinbarung, die für die einzelnen Bergbaugebiete eine Ankopplung regionaler Mindestlöhne an die Prozente der Kohlengruben vorsah. Die Bergarbeitergewerkschaft bezahlte ihren Mißerfolg mit einem drastischen Rückgang ihrer Mitgliederzahlen und dem Verlust der beherrschenden Stellung, die sie bisher im britischen Gewerkschaftsbund, dem Trade Union Congress, innegehabt hatte.
Insgesamt war die Gewerkschaftsbewegung im Verlauf des Krieges erstarkt: Ihre Mitgliederzahlen stiegen von 4 Millionen im Jahr 1914 auf 6,5 Millionen im Jahr 1920 und bis 1926 weiter auf 8,3 Millionen. Mit den Gewerkschaften wuchs auch die Labour Party: Sie zählte 1914 1,6, 1919 3,5 und 1920 fast 4,4 Millionen Mitglieder. Ihre Stimmenzahlen stiegen von einer halben Million bei der letzten Vorkriegswahl 1910 auf 2,2 Millionen im Dezember 1918 und 4,2 Millionen bei den Unterhauswahlen vom November 1922.
Auch nachdem sie im Dezember 1918 aus der Allparteienregierung von Lloyd George ausgeschieden war, behielt die Labour Party erheblichen Einfluß auf Politik und Gesetzgebung. Die beiden wichtigsten sozialpolitischen Gesetze der frühen Nachkriegszeit wären ohne den Druck, der von ihr und den Gewerkschaften ausging, kaum zustande gekommen: das nach dem ersten Gesundheitsminister, dem Mediziner Christopher Addison, benannte Wohnungs- und Stadtplanungsgesetz vom Juli 1919, das den staatlich geförderten Wohnungsbau einleitete, und das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung von 1920. Es erweiterte die 1911 eingeführte Versicherung für Arbeitnehmer der Bau-, Maschinenbau- und der Schiffbauindustrie auf alle Industriezweigeaus. Sie sah Beiträge von
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