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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Regierungschefs zurück. Am 24. Oktober übernahm Bonar Law seine Nachfolge. Lord Curzon blieb Außenminister; das Schatzministerium übernahm der bisherige Handelsminister Stanley Baldwin, der «kommende Mann» der Tories, die sich seit der staatlichen Verselbständigung Irlands nicht mehr Unionist Party, sondern wieder Conservative Party nannten.
    Die erste Amtshandlung der neuen Regierung war die Auflösung des Unterhauses. Aus den Neuwahlen vom November 1922 gingen die Konservativen mit 347 Sitzen als Sieger hervor. Sie verfügten über einen Vorsprung von 87 Mandaten gegenüber der Opposition. Einen großen Erfolg verbuchte auch die Labour Party, die die Zahl der Abgeordneten von zuletzt 75 auf 142 steigern konnte. Die Liberalen der beiden Richtungen, also Asquith und Lloyd George, erlangen zusammen 117 Sitze – ein Minus von 45 Mandaten gegenüber den Wahlen vom Dezember 1918.
    Bonar Law blieb nur ein halbes Jahr im Amt. Im Mai 1923 trat er wegen einer schweren Erkrankung zurück; im Oktober starb er. Sein Nachfolger wurde Stanley Baldwin, der den Tories bis 1937 seinen Stempel aufdrücken sollte, obwohl er sich bis dahin in seinen Ämtern nicht besonders hervorgetan hatte. Das drängendste Problem seines ersten Kabinetts war die hohe Arbeitslosigkeit, die Baldwin mit hohen Schutzzöllen zu bekämpfen gedachte, wie sie während des Krieges für Kraftfahrzeuge, Uhren und Musikinstrumente eingeführt worden waren. Im Oktober 1923 kündigte er einen umfassenden Zollschutz für die britische Wirtschaft an. Da sein Vorgänger Bonar Law sich ein Jahr zuvor öffentlich darauf festgelegt hatte, daß sich am Zollsystem nichts Wesentliches ändern würde, hielt Baldwin Neuwahlen für unumgänglich. Sie fanden am 6. Dezember 1923 statt und zeitigten ein Ergebnis, das die Pläne des Premiers zunichte machte. Die Konservativen blieben zwar die stärkste Partei, verloren aber gegenüber dem Vorjahr 90 Mandate. Die Wahlsieger waren die Labour Party und die Liberalen, die beide die Rückkehr zum Freihandel gefordert hatten. Labour konnte die Zahl seiner Mandate von 142 auf 192 steigern; die Liberalen erhielten 158 statt 117 Sitze.
    Zusammen waren Labour und Liberale also stärker als die Konservativen. Da Baldwin keine Regierungsmehrheit zustande brachte, erteilte König Georg V. den Auftrag zur Regierungsbildung an den Labourführer James Ramsay MacDonald. Seit dem 23. Januar 1924 stand er an der Spitze der ersten Labour-Regierung, die zwar über keine eigene parlamentarische Mehrheit verfügte, aber von den Liberalen toleriert wurde. Die Politik des neuen Kabinetts war eher liberal als sozialistisch. Schatzkanzler Philip Snowden schaffte die Schutzzölle aus der Kriegszeit ab und senkte die Steuern. Das Ziel, die Arbeitslosigkeit mit Hilfe öffentlicher Arbeiten abzubauen, konnte er auf diesem Weg nicht erreichen. Das Etikett «sozial» verdiente sehr viel eher die kommunale Förderung des Wohnungsbaus für Arbeiterfamilien, die Gesundheitsminister Arthur Greenwood mit beträchtlichem Erfolg einleitete.
    Die erste Labour-Regierung war gerade eine Woche im Amt, als sie einen spektakulären Schritt tat: Am 1. Februar 1924 erkannte sie die Sowjetunion diplomatisch an. Diesem Paukenschlag folgten langwierige Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen und einen Vertrag, der die Frage der russischen Vorkriegsschulden und die Rechteder britischen Bürger in der Sowjetunion regelte und seinerseits die Voraussetzung für eine britische Anleihe bilden sollte. Als die entsprechenden Vereinbarungen am 6. August 1924 unterzeichnet wurden, hagelte es Proteste bei den Konservativen und den Liberalen der Richtung Lloyd George: Der Labour-Regierung wurde vorgeworfen, sie habe durch die Abmachungen mit der Sowjetunion gegen vitale britische Interessen verstoßen.
    Ob MacDonald im Unterhaus eine Mehrheit für die Abkommen finden würde, war zweifelhaft. In dieser Situation kam es dem Kabinett höchst ungelegen, daß der Herausgeber des kommunistischen Wochenblattes «Workers Weekly», J. R. Campbell, einen vermutlich vom Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Großbritanniens, Harry Pollitt, verfaßten Artikel veröffentlichte, in dem die britischen Arbeiter aufgefordert wurden, sich nicht an Kriegen zu beteiligen, in denen sie gegen ihre eigenen Klassenbrüder kämpfen müßten. Eine Anklage wegen Aufrufs zur Meuterei wurde vom Generalstaatsanwalt rasch wieder zurückgezogen – wie die Konservativen behaupteten, auf Druck

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