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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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stillschweigende Duldung der Tätigkeit von Mönchsorden,die durch ein Gesetz von 1901 aufgelöst worden waren. Auf das Verhältnis zwischen Staat und Kirche entspannend wirkte sich auch ein symbolischer Akt aus: 1920 wurde Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orléans, heiliggesprochen und neben Maria, der Mutter Jesu, zur zweiten Patronin Frankreichs erklärt – eine Geste, die auch in kirchenfernen Kreisen des patriotischen Frankreich lebhaft begrüßt wurde.
    Die Annäherung zwischen Staat und Kirche wurde von der laizistischen Linken ebenso bekämpft wie von traditionsbewußten Teilen des Klerus, die eine Verwischung der bislang klaren Fronten fürchteten. In der politischen Mitte hingegen konnte sich nun eine christlich-demokratische Partei, der 1924 gegründete Parti Populaire Démocratique (PPD), entfalten, der im Rahmen der Republik, so wie sie war, um Stimmen warb (und dabei sicher erfolgreicher gewesen wäre, hätten die Frauen schon das Wahlrecht gehabt, das sie erst 1944 erhielten). Einer der führenden Parlamentarier des PPD war der Metzer Rechtsanwalt Robert Schuman, der nach dem Zweiten Weltkrieg einer der Pioniere der westeuropäischen Integration werden sollte. Kirchentreue katholische Arbeiter fanden ihre gewerkschaftliche Heimat in der im Februar 1920 gegründeten Confédération des Travailleurs Chrétiens (CFTC), die zwar den Klassenkampf, nicht jedoch das Mittel des Streiks ablehnte und sich dabei auf das Manifest der katholischen Soziallehre, die Enzyklika «Rerum Novarum» von Papst Leo XIII. aus dem Jahr 1891, berief. Mit den 150.000 Mitgliedern, die sie 1920 zählte, war sie fast ein Zwerg, verglichen mit den 2 Millionen Mitgliedern der noch ungespaltenen CGT, aber doch in manchen Regionen stark genug, um von den Unternehmerverbänden als ernstzunehmender Kontrahent eingeschätzt zu werden.
    Nicht nur im Verhältnis zur katholischen Kirche verdient die Regierung Briand das Prädikat «gemäßigt». Auch im wichtigsten Bereich der auswärtigen Politik, dem Verhältnis zum besiegten Deutschland, bemühte sich der Ministerpräsident, der zugleich auch das Amt des Außenministers innehatte, seit dem Sommer 1921 um einen Ausgleich. Ein erster Versuch in dieser Richtung war das «Wiesbadener Abkommen», das nach längeren Verhandlungen am 6. Oktober 1921 vom Minister für die befreiten Gebiete, Louis Loucheur, und dem deutschen Wiederaufbauminister Walther Rathenau unterzeichnet wurde. Es sah vor, daß die deutschen Reparationszahlungen an Frankreich in großem Umfang nicht in Goldmark, sondern in Form von Sachleistungenerbracht werden konnten, was einem weiteren Verfall der deutschen Währung entgegenwirken sollte. Da die französischen Industriellen in ihrer Mehrheit die Vereinbarung zu hintertreiben verstanden, zeitigte das von der Rechten scharf kritisierte Abkommen in der Praxis jedoch keine nennenswerten Folgen.
    Als Deutschland wenig später ein Moratorium für die Reparationszahlungen forderte, reagierte der britische Premierminister Lloyd George positiv. Bei einem Besuch Briands in London im Dezember 1921 empfahl er seinem französischen Kollegen, auf das Berliner Ersuchen einzugehen. Briand war dazu bereit, nicht jedoch Präsident Millerand, der in der Abwesenheit des Regierungschefs die Sitzungen des Ministerrats leitete. Auf einer interalliierten Konferenz in Cannes Anfang Januar 1922 wurde das Thema erneut aufgegriffen. Lloyd George schlug nunmehr vor, das Problem im Rahmen einer Weltwirtschaftskonferenz zu lösen, zu der auch Deutschland und Sowjetrußland eingeladen werden sollten. Französisches Entgegenkommen in der Reparationsfrage wollte der Premier mit einer britischen Garantie für die französischen und die belgischen Grenzen, nicht jedoch für die Grenzen der mit Frankreich verbündeten Staaten Ostmittel- und Südosteuropas honorieren.
    Briand stimmte zu, woraufhin die Teilnehmer die Einberufung einer solchen Konferenz auf den 10. April in Genua beschlossen. Präsident Millerand und Raymond Poincaré, der Präsident des auswärtigen Ausschusses des Senats, intervenierten jedoch sogleich mit Telegrammen, die Briand desavouierten. Der Ministerpräsident kehrte nach Paris zurück, wo er am 12. Januar, ohne das als sicher anzunehmende Mißtrauensvotum der Kammer abzuwarten, seinen Rücktritt erklärte. Seine Nachfolge trat drei Tage später sein Kritiker Poincaré an, der wie Briand zugleich auch das Amt des Außenministers übernahm.
    Das neue Kabinett stand deutlich

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