Geschichte des Westens
eines starken Signalsseitens der Arbeiter und Angestellten bedurfte, um die Beamten zur geschlossenen Verweigerung gegenüber den illegalen Machthabern und diese selbst zur raschen Kapitulation zu bewegen.
Die Führung des Generalstreiks übernahmen die Freien Gewerkschaften, in denen Mehrheits- und Unabhängige Sozialdemokraten weiterhin zusammenwirkten. Die KPD schloß sich dem Streik erst an, nachdem ihre Mitglieder sich vielerorts, entgegen der ursprünglichen Weisung der Parteiführung, an den Aktionen gegen die Putschisten beteiligt hatten. Deren Rückhalt blieb im wesentlichen auf das konservative Ostelbien beschränkt. Da das Gros der Ministerialbeamten den Coup boykottierte, war der Zusammenbruch des Umsturzversuches schon am 14. März absehbar. Um so erstaunlicher war, daß Gustav Stresemann, der Vorsitzende der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei, die Regierung Bauer für den Putsch verantwortlich machte und sich selbst als Vermittler zwischen den feindlichen Lagern anbot. Noch stärker mußte es die Republikaner irritieren, daß der in Berlin verbliebene Vizekanzler Schiffer von der DDP (die seit dem Oktober wieder an der Regierung beteiligt war) und mehrere preußische Minister, darunter auch Sozialdemokraten, dem «Reichskanzler» Kapp und dem «Oberbefehlshaber» Lüttwitz weit entgegenkamen und für den Fall ihres Rücktritts die Bildung einer großen Koalitionsregierung, baldige Reichstagswahlen und eine rasche Direktwahl des Reichspräsidenten versprachen.
Die Regierung Bauer, die inzwischen nach Stuttgart ausgewichen war, ließ sich auf Kompromisse mit den Aufständischen nicht ein und tat damit das beste, was sie tun konnte. Am 17. März traten zuerst Kapp, dann auch Lüttwitz unter dem Druck des Militärs zurück. Als die Marinebrigade Ehrhardt unter den Klängen des Deutschlandliedes und in ihrer üblichen Montur («Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß-rotes Band/die Brigade Ehrhardt werden wir genannt») aus dem Regierungsviertel abzog, richtete sie noch ein Blutbad unter protestierenden Zivilisten an: Zwölf Menschen wurden getötet und dreißig verletzt.
Das Ende des Putsches bedeutete noch nicht das Ende des Generalstreiks. Am 18. März beschlossen die Dachverbände der sozialdemokratisch orientierten Arbeiter-, Angestellten- und Beamtengewerkschaften, den Ausstand solange fortzusetzen, bis eine Reihe von Forderungen erfüllt waren: die Entlassung Noskes, der den antirepublikanischen Umtriebenin der Reichswehr tatenlos zugesehen hatte, die Auflösung und Entwaffnung unzulässiger militärischer Einheiten und ein republikanischer Umbau der Reichswehr. Außerdem verlangten die Freien Gewerkschaften die Bestrafung aller am Putsch beteiligten Personen, die Auflösung illoyaler Verbände der Sicherheitswehr, eine gründliche Demokratisierung der Verwaltung, die Sozialisierung des Bergbaus und der Energiegewinnung sowie die Entlassung preußischer Minister, die sich den Putschisten gegenüber zu nachgiebig verhalten hatten, darunter des sozialdemokratischen Innenministers Wolfgang Heine. Erst als sich am 20. März die Erfüllung der wichtigsten Forderungen abzeichnete (was beim Thema Sozialisierung die Wiedereinberufung der im November 1918 gebildeten Sozialisierungskommission bedeutete), erklärten die drei Dachverbände den Generalstreik für beendet. Die USPD tat denselben Schritt erst drei Tage später, nachdem der Reichskanzler Bauer noch einige weitere Zugeständnisse gemacht hatte.
Am 27. März 1920 war die Umbildung der Reichsregierung abgeschlossen. An die Stelle des farblosen Reichskanzlers Gustav Bauer trat der mehrerer Fremdsprachen kundige bisherige Außenminister Hermann Müller, neben Otto Wels einer der beiden Vorsitzenden der SPD. Neuer Reichswehrminister wurde der bisherige Wiederaufbauminister Otto Geßler, der auf dem rechten Flügel der DDP stand. An die Spitze der Heeresleitung trat jener General von Seeckt, der sich am 13. März strikt geweigert hatte, Reichswehr auf Reichswehr schießen zu lassen.
Viel weiter als im Reich gingen die Veränderungen, die der Kapp-Lüttwitz-Putsch in Preußen zur Folge hatte. Nachfolger des politisch konturlosen Ministerpräsidenten Paul Hirsch wurde ein anderer, sehr viel agilerer Sozialdemokrat: der bisherige Landwirtschaftsminister Otto Braun, ein gelernter Buchdrucker aus Königsberg. Zum neuen Innenminister ernannte Braun den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Carl Severing, einen gelernten Schlosser aus
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