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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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radikalen Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse überlebte das Ende der Revolutionsperiode im Frühjahr 1920. Doch die Erfahrungen jener Zeit wirkten ernüchternd. Der Generalstreik war zwar insofern erfolgreich gewesen, als er das Putschistenregime binnen kurzem zu Fall brachte, er entwickelte aber auch eine Eigendynamik, der Gewerkschaften und Sozialdemokratie machtlos gegenüberstanden. Die radikale Linke verwandelte den politischen Streik gegen den Willen der Gemäßigten in einen bewaffneten Kampf, aus dem nicht die Arbeiterschaft, sondern das Militär als Sieger hervorging. Auf den Ruhraufstand folgten zwar noch mehrere kommunistische Putschversuche wie die von der Komintern initiierte, von der preußischen Polizei rasch niedergeworfene «Märzaktion» von 1921 in Mitteldeutschland, aber keine proletarische Massenerhebung mehr. Einen Generalstreik hat es in der Weimarer Republik nach 1920 nicht mehr gegeben.
    Die Aufständischen an der Ruhr wurden sehr viel härter bestraft als die Teilnehmer des vorangegangenen Rechtsputsches, von denen sich die meisten, darunter Kapp und Lüttwitz, ins Ausland absetzen konnten. Dem steckbrieflich gesuchten Kapitänleutnant Ehrhardt gelang es, gedeckt von den Behörden der «Ordnungszelle» Bayern, von dort aus die nächste Etappe der Konterrevolution vorzubereiten. Von den Zusagen, die die Reichsregierung den Gewerkschaften gemacht hatten, wurden nur wenige eingelöst. Die Arbeit der neu eingesetzten Sozialisierungskommission blieb so folgenlos wie 1919. Unzuverlässige Polizeiformationen wurden nur dort aufgelöst, wo die Sozialdemokratie die nötigen Machtmittel besaßen. Die Reichswehr hielt sich zwar äußerlich politisch zurück, um nicht in den Verdacht zu geraten, sie unterstütze republikfeindliche Umtriebe. Gleichzeitig aber wurden Freikorpsoffiziere, die sich aktiv am Putsch beteiligt hatten, auf Grund einer Amnestie vom August 1920 in die endgültige Reichswehr und in die Reichsmarine übernommen. Eine entschieden antirepublikanische Gesinnung stand einer Karriere im «Staat im Staat», zu dem sich das Militär in der Ära Seeckt entwickelte, nicht im Weg.
    Am 6. Juni 1920 fand die erste Reichstagswahl nach dem Krieg und der Revolution statt. Sie wurde zu einem Debakel für die republikanischen Kräfte. Die Parteien der Weimarer Koalition, die in der Nationalversammlung über eine Zweidrittelmehrheit verfügt hatten, verloren die Mehrheit der Stimmen und der Sitze. Die Mehrheitssozialdemokraten sanken von 37,9 auf 21,6 Prozent, während die Unabhängigen ihren Anteil von 7,6 auf 18,6 Prozent steigern konnten. Die KPD, die erstmals antrat, kam auf 1,7 Prozent. Die DDP fiel von 18,5 auf 8,4 Prozent, wohingegen die DVP von 4,4 auf 13,9 Prozent anwuchs. Auch die Deutschnationalen nahmen zu: von 10,3 auf 14,4 Prozent. Gering fielen die Verluste des Zentrums aus: Es sank von 15,1 Prozent im außerbayerischen Deutschland auf 13,6 Prozent.
    Auf eine knappe Formel gebracht, machte die Wahl einen Rechtsruck im Bürgertum und einen Linksruck in der Arbeiterschaft sichtbar. Die Wählerinnen und Wähler belohnten die Kräfte, die die Gründungskompromisse der Republik nicht mitgetragen hatten und bestraften die Gemäßigten für das, was sie seit Anfang 1919 getan oder nicht getan hatten. Auf der Linken verübelte man den bisherigen Regierungen der Republik, daß die «Reaktion» wieder erstarkt war. Von rechts wurde den Weimarer Parteien alles angelastet, was angeblich die nationaleEhre verletzte und die Besitzinteressen beeinträchtigte. Versailles und eine vom inzwischen zurückgetretenen Reichsfinanzminister Matthias Erzberger durchgesetzte Steuerreform, die eine progressiv gestaffelte Reichseinkommensteuer und eine einmalige Vermögensabgabe, das Reichsnotopfer, brachte, der Kapp-Lüttwitz-Putsch und die anschließenden Kämpfe: Dies alles floß in die Wahlentscheidung mit ein, die unter dem Strich ein Mißtrauensvotum gegen Weimar bedeutete.
    Eine neue, regierungsfähige Mehrheit aber war nicht in Sicht. Politisch nicht vorstellbar waren einstweilen ein «Bürgerblock» unter Einschluß der Deutschnationalen und eine Große Koalition, die von der MSPD bis zur DVP reichte. So blieben nur zwei Formen von Minderheitsregierung übrig: entweder eine Weimarer Koalition, die von der DVP oder der USPD toleriert wurde, oder ein von den Sozialdemokraten parlamentarisch gestütztes bürgerliches Minderheitskabinett. Die SPD zog die zweite Möglichkeit vor, weil

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