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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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sie bessere Aussichten zu bieten schien, sozialdemokratisches Profil zu zeigen. Am 25. Juni ernannte Reichspräsident Ebert den badischen Zentrumspolitiker Konstantin Fehrenbach, den bisherigen Präsidenten der Nationalversammlung, zum Reichskanzler. Er bildete ein Kabinett, dem Mitglieder des Zentrums, der DDP und der DVP sowie zwei parteilose Minister angehörten. Erstmals seit dem Oktober 1918 gab es in Deutschland wieder eine Regierung ohne Sozialdemokraten. Gegen die SPD aber konnte das Reich nicht regiert werden. Das wußten die Sozialdemokraten, und darauf verließ sich das bürgerliche Minderheitskabinett.
    Nur ein knappes Jahr lang konnte sich die Regierung Fehrenbach an der Macht behaupten. Im Frühjahr 1921 spitzten sich zwei Krisen zu, von denen uns die erste, der Konflikt um die Zukunft Oberschlesiens, bereits im Zusammenhang mit der Entwicklung Polens nach 1918 beschäftigt hat. Die zweite Krise betraf die Reparationen. Sie belasteten den Reichshaushalt in einer Höhe, die eine «normale» Aufbringung, in Gestalt von Steuern, undenkbar machte, trieben also die Inflation weiter voran. Der Friedensvertrag hatte die Höhe der Reparationen nicht festgelegt, und das hatte fatale Folgen: Die anhaltende Ungewißheit über den Umfang der Reparationsverpflichtungen nahm potentiellen privaten Kreditgebern die Möglichkeit, die Kreditwürdigkeit des Empfängerlandes realistisch einzuschätzen. Deutschland konnte infolgedessen keine langfristigen Auslandsanleihen mehr aufnehmen.
    Am 5. Mai 1921 überreichte der britische Premierminister Lloyd George namens der Alliierten dem deutschen Botschafter in London ein Ultimatum, das zeitlich gestaffelte Reparationszahlungen in einer Gesamthöhe von 132 Milliarden Goldmark Gegenwartswert, also ohne die künftig anfallenden Zinsen, zuzüglich 6 Milliarden für das 1914 von Deutschland überfallene Belgien, vorsah. 1 Milliarde Goldmark war innerhalb von 25 Tagen, also bis zum 30. Mai, zu zahlen. Weiter forderten die Alliierten die Zahlung der noch ausstehenden 12 Milliarden von insgesamt 20 Milliarden Goldmark, die nach dem Vertrag von Versailles am 1. Mai 1921 fällig gewesen waren, die Entwaffnung entsprechend den bisherigen Noten der Alliierten und die Aburteilung der deutschen Kriegsverbrecher. Für den Fall der Nichterfüllung drohten die Verbündeten, am 12. Mai mit der Besetzung des gesamten Ruhrgebietes zu beginnen. (Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort waren schon am 8. März 1921 als Strafe dafür, daß Deutschland sich dem vorangegangenen Ultimatum nicht gefügt hatte, besetzt worden.)
    Einen Tag vor der Überreichung des Londoner Ultimatums hatte die Regierung Fehrenbach ihren Rücktritt erklärt, da es ihr nicht gelungen war, die Vereinigten Staaten (die erst einige Monate später, am 25. August 1921, einen separaten Friedensvertrag mit dem Deutschen Reich abschlossen) zu einer Vermittlungsaktion in der Reparationsfrage zu bewegen. Die Reparationskrise fiel also mit einer Regierungskrise zusammen, und beide konnten nur gemeinsam gelöst werden. DNVP, DVP und KPD verlangten die Ablehnung des Ultimatums; SPD, Zentrum und USPD sprachen sich wegen der drohenden Sanktionen für die Annahme aus; die DDP war in sich gespalten.
    Hätten sich die Befürworter der harten Linie durchgesetzt, wäre der wirtschaftliche Zusammenbruch Deutschlands die Folge gewesen. Das wußten auch die Rechtsparteien, aber wie bei der Abstimmung über den Vertrag von Versailles im Juni 1919 konnten sie davon ausgehen, daß es auch ohne sie eine Mehrheit für das kleinere Übel geben würde. Sie hatten richtig kalkuliert: SPD, Zentrum und DDP übernahmen die Verantwortung für die Annahme des Ultimatums und bildeten zusammen eine Regierung, das erste Minderheitskabinett der Weimarer Koalition. An seine Spitze trat am 10. Mai der badische Zentrumspolitiker Joseph Wirth. Der ehemalige Gymnasiallehrer für Mathematik hatte im März 1920 die Nachfolge Erzbergers als Finanzministerangetreten. Er war ein glänzender Redner und ein glühender Nationalist, gleichzeitig aber ein leidenschaftlicher Republikaner und, soweit es um die innere Politik ging, innerhalb des Zentrums ein «Linker». Mit der Ernennung Wirths begann, was als «Erfüllungspolitik» in die Geschichte der Weimarer Republik einging.
    «Erfüllungspolitik» bedeutete, die Reparationspolitik dadurch ad absurdum zu führen, daß Deutschland sein Äußerstes tat, um die ihm auferlegten Pflichten zu erfüllen. Die

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