Geschichte des Westens
Kern und der Leutnant der Reserve Hermann Fischer, wurden am 17. Juli auf der Burg Saaleck bei Kösen von der Polizei gestellt; Kern starb durch Kugeln seiner Verfolger, Fischer nahm sich daraufhin selbst das Leben. Beide waren Mitglieder des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, einer damals etwa 170.000 Mitglieder zählenden, militant antisemitischen Vereinigung, und der «Organisation Consul», die auch den Mord an Erzberger vorbereitet hatte. Aus derselben geheimen Gruppe kamen auch einige der Hintermänner des Anschlags, deren die Polizei bald habhaft werden konnte.
Für die Urheber des Mordes verkörperte Rathenau die Erfüllungspolitik und die Weimarer Republik insgesamt; er
war
der Repräsentant alles dessen, was sie haßten. Er war ein Kritiker des alten Deutschland, der, weil er Jude war, ohne die Revolution nicht hätte Außenminister werden können. Die Erfüllungspolitik gegenüber dem Westen vertrat er ohne die nach Osten gerichteten Hintergedanken Joseph Wirths. Zugleich aber war Rathenau ein Produkt der wilhelminischen Ära und ein deutscher Patriot, der noch im Oktober 1918 die Deutschen zu einer «levée en masse» aufgerufen hatte und seit dem Sommer 1919 auf die Überwindung der Ordnung von Versailles hinarbeitete. Es waren nicht zuletzt die Widersprüche Rathenaus, die ihn zu einer Zielscheibe des Hasses für alle machten, die Weimar durch eine Revolution von rechts zu Fall bringen wollten.
Wie kein zweites Ereignis nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch erschütterteder Mord an Rathenau die Republik in ihren Grundfesten. Die Gewalteskalation von links aber, auf die die extreme Rechte gehofft hatte, fand nicht statt. An den großen Demonstrationen, zu denen der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund aufrief, nahmen neben Mehrheits- und Unabhängigen Sozialdemokraten auch die Kommunisten teil. Reichskanzler Wirth schleuderte am 25. Juni nach einer Würdigung des toten Ministers der Rechten unter stürmischem Beifall der Mehrheit des Reichstags und aller Tribünengäste Worte entgegen, die sich den Zeitgenossen einprägten: «Da steht (nach rechts) der Feind, der sein Gift in die Wunde eines Volkes träufelt. Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts.»
Der Mord an Rathenau veranlaßte die Reichsregierung zu administrativen und gesetzgeberischen Gegenmaßnahmen, zuerst in Form von zwei Notverordnungen, dann in Gestalt des Gesetzes zum Schutz der Republik, das am 18. Juli 1922 im Reichstag in dritter Lesung die notwendige verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit erhielt, weil auch die DVP Gustav Stresemanns ihm zustimmte. Das Gesetz bedrohte republikfeindliche Bestrebungen von der Beschimpfung der Reichsfarben bis zur Ermordung von amtlichen Repräsentanten der Republik, mit schweren Strafen und schuf einen für solche Delikte zuständigen Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik beim Reichsgericht in Leipzig.
Die Sanktionen des Reichs lösten, ähnlich wie im Jahr zuvor nach der Ermordung Erzbergers, einen schweren Konflikt mit Bayern aus. Dieses hob das Gesetz einen Tag später auf und ersetzte es durch eine Verordnung, die zwar die materiellen Bestimmungen des Gesetzes übernahm, die Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofes aber auf bayerische Gerichte übertrug. Die Reichsregierung reagierte weich, aber letztlich erfolgreich: Sie bot Bayern Verhandlungen an, die am 11. August, dem dritten Jahrestag der Weimarer Reichsverfassung, zu einem Kompromiß führten: Beim Staatsgerichtshof wurde ein zweiter Senat gebildet, der für die in Süddeutschland begangenen Delikte zuständig und mit süddeutschen Richtern zu besetzen war. Am 25. August 1922 hob die bayerische Regierung im Gegenzug die Verordnung vom 24. Juli auf. Ministerpräsident Graf Lerchenfeld aber wurde für dieses Zurückweichen von der rechten Mehrheit des Landtags bestraft. Am 2. November mußte er zurücktreten. Sein Nachfolger wurde eine Woche später Eugen Ritter von Knilling, der den «VaterländischenVerbänden» und den Nationalsozialisten unter Führung Adolf Hitlers mit sehr vielmehr Verständnis gegenüberstand als sein Vorgänger.
Die Wirkungen des Republikschutzgesetzes blieben weit hinter den Erfahrungen seiner Befürworter zurück. Die obrigkeitsstaatlich geprägte Justiz zeigte kein Interesse, sich konsequent der Mittel zu bedienen, die das Gesetz bot, und wenn sie es tat, dann eher gegen politische Straftäter von links als solche von rechts. So erhielt etwa ein
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