Geschichte des Westens
klang die Drohung hohl. Im Februar 1934, als die sozialistischen Arbeiter Österreichs tatsächlich zu den Waffen griffen, war es zu spät: Das austrofaschistische Regime verfügte inzwischen über alle Machtmittel, die nötig waren, um die Erhebung niederzuwerfen.
In Ungarn, das mit Österreich bis 1918 durch eine Personal- und Realunion verbunden gewesen war, begann die autoritäre Umformung des Staatswesens sehr viel früher als im ehemaligen Kernland der cisleithanischen Reichshälfte. Die Weichen wurden gestellt, als am 1. März 1920 der Oberbefehlshaber der ungarischen Truppen, Admiral Miklós Horthy von Nágybánya, zum Reichsverweser gewählt wurde. An den Wahlen vom Januar 1920 hatten die Sozialdemokraten aus Protest gegen den «weißen» Terror, der seinerseits eine Reaktion auf die kurze Phase der kommunistischen Rätediktatur unter Béla Kun war, nicht teilgenommen, so daß die rechts von ihnen stehenden Parteien im Parlament unter sich waren. Horthy proklamierte noch im März Ungarn als Monarchie mit vakantem Thron. Zwei Versuche Karls I., des letzten Habsburgerkaisers, der im November 1918 nicht als König von Ungarn abgedankt hatte, sich, gestützt auf Teile der Armee, erneut zum Träger der Stephanskrone zu machen, scheiterten 1921: Der Reichsverweser wünschte eine Restauration der Monarchie im Sinne des Habsburgers schon deswegen nicht, weil sie unweigerlich die Alliierten auf den Plan gerufen hätte. Ein Gesetz vom Oktober 1921 beendete die Thronrechte des Hauses Österreich für alle Zeiten.
Eine Nationalitätenfrage im engeren Sinn gab es für Ungarn nach dem Vertrag von Trianon kaum noch: Neun Zehntel der Bewohner,darunter auch die Roma, bekannten sich zur magyarischen, knapp 7 Prozent zur deutschen Muttersprache. Geblieben war das Problem des Umgangs mit den Juden, die etwa 6 Prozent der Bevölkerung, aber rund die Hälfte der Rechtsanwälte und Ärzte stellten und über großen Einfluß in Handel und Banken verfügten. Der Antisemitismus, der in Ungarn schon im 19. Jahrhundert weit verbreitet war, erhielt, ähnlich wie in Bayern, durch die Rätediktatur neuen Auftrieb: Da Juden in der kommunistisch geführten Regierung eine prominente Rolle gespielt hatten, wurden sie pauschal verdächtigt, auf den Umsturz der bestehenden Verhältnisse zu sinnen und Feinde des ungarischen Volkes zu sein. Bereits unter der ersten von drei «Grafenregierungen», der von Graf Pál Teleki, ging Ungarn 1920/21 zur Verdrängung der Juden aus dem Staatsapparat und, durch Einführung eines rigiden Numerus clausus an den Hochschulen, zur Verminderung der Zahl jüdischer Studenten und Akademiker über.
Eine Bodenreform, die diesen Namen verdient hätte, fand nicht statt. Zwar erhielten die ärmsten Bauern auf Drängen der Kleinlandwirtepartei ein wenig zusätzliches Land als Eigentum, aber rentabel wurde die bäuerliche Parzellenlandwirtschaft mit ihren Zwergbetrieben dadurch nicht. Der Großgrundbesitz blieb unangetastet, seine gesellschaftliche und politische Macht ungebrochen.
Der Nachfolger des Grafen Teleki war Graf István Bethlen. Er gewährte den Sozialdemokraten eine Art «Toleranzedikt», nachdem diese im Dezember 1921 unter dem strikt antikommunistischen Vorsitzenden Károlyi Peyer sich in einem Geheimabkommen mit dem Ministerpräsidenten verpflichtet hatten, keine Agitation im öffentlichen Dienst und unter den Landarbeitern zu betreiben sowie auf politische Streiks und republikanische Propaganda zu verzichten. 1922 gelang es Bethlen, die größeren Fraktionen der Nationalversammlung in einer «Einheitspartei» zu verschmelzen. Ein neues Wahlgesetz schränkte das aktive Wahlrecht so drastisch ein, daß es nur noch der Hälfte der erwachsenen Bevölkerung zustand. Das Prinzip der geheimen Wahl galt fortan nur für die größeren Städte, nicht mehr für die ländlichen Wahlkreise.
Das Ergebnis der Wahlen vom 2. Juni 1922 fiel ganz im Sinne der Regierung aus. Es gab zwar eine liberale und sozialdemokratische Opposition und eine freie Presse, aber die Machtposition der Regierung Bethlen, die bis 1931 im Amt blieb, war dadurch nicht zu erschüttern.Die Westmächte honorierten die Stabilisierung der politischen Verhältnisse im September 1922 durch die Aufnahme Ungarns in den Völkerbund und halfen dem Land, 1924 mit Hilfe einer Völkerbundsanleihe die grassierende Inflation zu überwinden. In den Jahren danach erholte sich die ungarische Wirtschaft; das Land erlebte einen
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