Geschichte des Westens
bulgarischer Agrarerzeugnisse war und von dem Bulgarien seinerseits die meisten Industrieprodukte bezog. Eine engereaußenpolitische Bindung an das «Dritte Reich» aber vermied Boris, und es gelang ihm, diese Linie über den Beginn des Zweiten Weltkrieges hinaus beizubehalten.
Kein Balkanland hat in der Zwischenkriegszeit so viele gewaltsame Umstürze und Umsturzversuche erlebt wie Griechenland. Auf die türkischen Siege im griechisch-türkischen Krieg folgten im Frühherbst 1922 revolutionäre Unruhen, die die Anhänger des Ministerpräsidenten der Jahre 1910 bis 1915 und 1917 bis 1920, Eleftherios Venizelos, wieder an die Macht brachten. König Konstantin I. mußte am 27. September 1922 zugunsten seines Sohnes Georg II. abdanken. Das neue Regime venizelistischer Offiziere schrieb sich in die Annalen der griechischen Geschichte mit einem Schauprozeß gegen fünf führende Politiker der gestürzten Regierung und den letzten Oberkommandierenden der griechischen Streitkräfte in Kleinasien ein: Die Angeklagten wurden, obwohl strafrechtlich nichts gegen sie vorlag, zum Tod verurteilt und trotz internationaler Proteste im November 1922 hingerichtet. Der Justizmord verschärfte die unheilvolle Polarisierung zwischen Venizelisten und Antivenizelisten: ein Gegensatz, der die beiden folgenden Jahrzehnte prägen sollte.
Ein Umsturzversuch von Teilen des Militärs im Oktober 1923, ausgelöst durch ein Wahlgesetz, das die Gegner von Venizelos benachteiligte, scheiterte nach wenigen Tagen. An den Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung im Dezember 1923 nahmen die Antivenizelisten nicht teil. Nach dem Wahlsieg der verbündeten Liberalen und Republikaner wurde Georg II. faktisch zur Abdankung genötigt; im März 1924 proklamierte die Konstituante die Republik; eine Volksabstimmung bestätigte im April diese Entscheidung. Eine Stabilisierung der parlamentarischen Demokratie, die Griechenland de facto seit der liberalen Verfassung von 1863 war, gelang in den folgenden Jahren trotz eines gewissen wirtschaftlichen Aufschwungs zwischen 1924 und 1926 nicht. Ende Juni 1925 putschte General Theodoras Pangalos. Entgegen den Versprechungen, die er zunächst der weiter amtierenden Regierung von Alexandros Papanastasiou, einem Politiker der sozialdemokratischen Republikanischen Union, gegeben hatte, löste er im September die Nationalversammlung ohne Ausschreibung von Neuwahlen auf und ließ sich im April 1926 zum Präsidenten der Republik wählen.
In die Zeit der Diktatur des Generals Pangalos fiel eine schwere außenpolitische Krise: die Besetzung der grenznahen entmilitarisierten Zone Bulgariens auf Grund eines Grenzzwischenfalls. Der Völkerbund zwang Griechenland Ende Oktober 1925 zum Rückzug und zur Zahlung einer Entschädigung. Die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Landes verschlechterte sich während der Herrschaft Pangalos’ dramatisch – einer der Gründe für den Sturz des Regimes durch General Georgios Kondilis im August 1926. Aus den Wahlen vom November desselben Jahres gingen die republikanischen Parteien als Sieger hervor. Am 2. Juni 1927 trat eine neue Verfassung, die dritte seit 1925, in Kraft. Sie schuf ein Zweikammersystem, in dem die gesetzgebende Gewalt bei der Abgeordnetenkammer (Boulé) und einem Senat (Gerousía) lag, wobei das Oberhaus zum größeren Teil aus direkt gewählten, zum kleineren aus von Kammer und Senat bestimmten Mitgliedern bestand.
Im Mai 1928 kehrte Venizelos an die Macht zurück, nachdem zuvor eine Regierung der großen Koalition aus republikanischen und gemäßigt royalistischen Parteien an wirtschafts- und finanzpolitischen Streitfragen zerbrochen war. Damit begann eine vierjährige Phase relativer Stabilisierung, in der die Rechtssicherheit, unter anderem durch Schaffung eines Obersten Verwaltungsgerichts, wuchs und Griechenland Freundschaftsverträge mit Italien, Jugoslawien und der Türkei abschloß. Die innenpolitischen Spannungen aber hielten an, und unter dem Einfluß der Weltwirtschaftskrise verlor die griechische Währung, die Drachme, etwa drei Viertel ihres Wertes. Venizelos erwog eine Stärkung der Exekutive nach dem Vorbild der deutschen Präsidialkabinette seit 1930, unternahm aber nichts, was einen demokratischen Machtwechsel bei den Parlamentswahlen vom September 1932 erschwert hätte.
Die Gewinner dieser Wahlen waren die royalistische Volkspartei unter Panajotis Tsaldaris, die zusammen mit kleineren republikanischen Parteien die Regierung
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