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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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bildete. Die Mehrheitsverhältnisse erwiesen sich aber als außerordentlich prekär, so daß Präsident Kounthouriothes das Parlament bereits fünf Monate später wieder auflöste und Neuwahlen, diesmal nach dem inzwischen eingeführten Mehrheitswahlrecht, für den 5. März 1933 anordnete. Die Volkspartei und zwei kleinere Rechtsparteien erhielten bei dieser Wahl die absolute Mehrheit, was den venizelistischen General Nikolaos Plastiras tagsdarauf zu einem Staatsstreich veranlaßte, der jedoch im Offizierskorps nur eine schwache Rückendeckung fand und deshalb fehlschlug. Unter der neuen Regierung Tsaldaris spitzte sich der Gegensatz zwischen Venizelisten und Antivenizelisten weiter zu. Im März 1935 putschten ein letztes Mal die Anhänger von Venizelos; sie scheiterten an fehlendem Massenrückhalt und mangelnder militärischer Vorbereitung. Venizelos flüchtete ins Ausland; er starb im März 1936 in Paris.
    Der Umsturzversuch der Venizelisten gab den antiparlamentarischen und antirepublikanischen Kräften im Regierungslager Auftrieb. Die gemäßigten Royalisten gewannen zwar die Parlamentswahl vom Juni 1935. Im Oktober aber wurde Tsaldaris von radikalen monarchistischen Offizieren zum Rücktritt gezwungen. Seine Nachfolge trat General Georgios Kondilis an, der zugleich das Amt des Reichsverwesers übernahm. Nachdem die gemäßigte Mehrheit der royalistischen Volkspartei aus der Kammer ausgezogen war, proklamierte diese die Wiederherstellung des Königtums und die Rückkehr zur Verfassung von 1911. Eine manipulierte Volksabstimmung erbrachte im November 1935 eine Mehrheit von fast 98 Prozent für die Wiederherstellung der Monarchie und damit für ein neues Königtum Georgs II.
    Frei waren hingegen die Parlamentswahlen vom Januar 1936, die zu einem annähernden Gleichgewicht von Venizelisten und Antivenizelisten führten und den 15 Abgeordneten der Kommunistischen Partei die Rolle des «Züngleins an der Waage» verschafften. Da das Militär keine von den Kommunisten abhängige Regierung hinnehmen wollte, ernannte Georg, der am 25. November 1935 aus dem Exil nach Griechenland zurückgekehrt war, um die Disziplin im Heer wiederherzustellen, den General und Führer der Freisinnigen Partei, Ioannis Metaxas, im März 1936 zum Heeresminister und nach dem Tod des gemäßigten und überparteilichen Ministerpräsidenten Demertzis im April auch zu dessen Nachfolger.
    Metaxas war von vornherein entschlossen, mit dem parlamentarischen System radikal zu brechen. Streiks ließ er mit äußerster Härte durch die Polizei niederwerfen; im August 1936 führte er auf dem Weg eines Staatsstreichs eine autoritäre Diktatur ein, die sich in vielem an das Vorbild des faschistischen Italien anlehnte. Die politischen Parteien wurden verboten, Zeitungen und Zeitschriften der Zensur unterworfen, Gewerkschaften, Verbände und Hochschulen von oppositionellen Kräften gesäubert. Der neu errichtete Staatssicherheitsdienstverfolgte politische Gegner mit einer bisher ungekannten Brutalität, wobei er sich auf die Hilfe zahlreicher Spitzel stützen konnte. Paramilitärische Verbände, darunter eine organisierte Staatsjugend, eine verbreitete Uniformierung und ein radikaler Nationalismus als Staatsideologie vervollständigten das Bild einer Rechtsdiktatur, deren harten Kern das gleichgeschaltete Militär bildete. Bei aller Annäherung an die Machtstruktur und die Herrschaftsmittel der faschistischen Regime achtete Metaxas aber darauf, außenpolitisch nicht von Rom und Berlin abhängig zu werden und gute Beziehungen mit den Westmächten zu unterhalten.
    Die Häufigkeit, mit der in Griechenland zwischen 1922 und 1936 geputscht wurde, erinnerte nachgerade an lateinamerikanische Republiken. Eine tiefere Ursache von parlamentarischer Labilität und autoritärer Stabilisierung war die reaktionäre Grundhaltung der orthodoxen Kirche, der auch die Verfassung von 1927, und zwar demonstrativ in ihrem ersten Artikel, den privilegierten Status der vorherrschenden Religion gewährte. Mit dem Einfluß des orthodoxen Klerus hing der niedrige Grad der Volksbildung zusammen: Noch 1928 waren 23 Prozent der männlichen und 58 Prozent der weiblichen Bevölkerung des Lesens und Schreibens unkundig. Der Anteil der in der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei tätigen Bevölkerung stieg von 1920 bis 1928 von 58 auf 61 Prozent; die vielen bäuerlichen Zwergbetriebe waren unrentabel und hemmten das Wirtschaftswachstum. Den Ton gaben wenige

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