Geschichte des Westens
Außenminister Beck gelang es bei einem Besuch in London am 6. April, die einseitige britische Garantie in einen vorläufigen britisch-polnischen Beistandspakt zu verwandeln. Von einer gleichartigen sowjetischen Hilfe wollte Beck nichts wissen, aber auch einen Dreierpakt mit Frankreich, mit dem Polen ja schon seit1924 verbündet war, hielt Beck nicht für opportun. Am 5. Mai hielt der polnische Außenminister im Sejm eine berühmt gewordene Rede, in der er die Prioritäten seines Landes auf programmatische Weise klarstellte: «Der Frieden ist eine kostbare und erwünschte Sache. Unsere durch den Krieg in Blut getaufte Generation verdient sicherlich eine Periode des Friedens. Doch der Frieden, wie fast alles in dieser Welt, hat einen hohen, aber doch berechenbaren Preis. Den Begriff des Friedens um jeden Preis kennen die Polen nicht. Im Leben der Völker und der Staaten gibt es nur ein Gut, das keinen Preis hat: die Ehre.»
Einen Tag nach dem Abschluß des vorläufigen britisch-polnischen Paktes, es war Karfreitag, der 7. April 1939, marschierten italienische Truppen in Albanien ein. König Zoglu floh nach Griechenland; am 12. April bot eine ad hoc einberufene «Nationalversammlung» König Viktor Emanuel III. die Krone Albaniens an, die dieser vier Tage später dankend annahm. Es folgten die Einsetzung eines Vizekönigs, der Erlaß einer neuen Verfassung, die Gründung einer faschistischen Partei und die Bildung eines Obersten Faschistischen Rates nach italienischem Vorbild. Mussolini wollte offenbar aller Welt zeigen, daß nicht nur Hitler, sondern auch er in der Lage war, einem anderen Land mit Hilfe des Militärs seinen Willen aufzuzwingen. Sein Vorbild in Berlin hatte bereits drei Tage zuvor, am 3. April, die Anweisung gegeben, den Angriff auf Polen militärisch so vorzubereiten, daß er ab dem 1. September 1939 zu jedem beliebigen Zeitpunkt beginnen konnte.
Am 13. April konterten Großbritannien und Frankreich die Aggressivität der Achsenmächte mit Garantieerklärungen für Rumänien, Griechenland und die Türkei. Die Niederlande, die Schweiz und Dänemark, denen entsprechende Erklärungen angeboten wurden, lehnten diese, um Deutschland nicht zu provozieren, ab. Einen Tag später forderte Chamberlain die Sowjetunion auf, ihren Nachbarn für den Fall eines unprovozierten Angriffs militärische Hilfe zuzusagen. Moskau lehnte dies am 18. April ab und schlug stattdessen ein britisch-französisch-sowjetisches Dreierbündnis vor. Fünf Wochen vorher, am 10. März, hatte Stalin allerdings in seiner legendären «Kastanienrede» vor dem 18. Parteitag der KPdSU erklärt, daß die Sowjetunion nicht daran denke, «den Kriegsprovokateuren, die es gewohnt sind, sich von anderen die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, … die Möglichkeit (zu) geben, unser Land in Konflikte hineinzuziehen». Das war nur so zu verstehen, daß Großbritannien undFrankreich, die ein halbes Jahr zuvor ohne irgendeine Absprache mit ihm das Münchner Abkommen mit Hitler geschlossen hatten, sich nicht auf sowjetische Hilfe bei einer Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Deutschland verlassen durften.
Am 17. April gab der sowjetische Botschafter in Berlin, A. F. Merekalow, im Gespräch mit Staatssekretär von Weizsäcker zu erkennen, daß seine Regierung an einer Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland interessiert sei. Am 4. Mai kam noch ein deutlicheres Signal aus Moskau: Stalin wechselte seinen als völkerbundfreundlich und westorientiert geltenden Außenminister Litwinow, der in der nationalsozialistischen Presse beharrlich als «der Jude Finkelstein» apostrophiert wurde, zugunsten des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, Wjatscheslaw Molotow, aus, womit erstmals ein Mitglied des Politbüros das Außenministerium übernahm. Wirksamer als zuvor konnte Stalin nun die sowjetische Außenpolitik nach seinen Wünschen gestalten und ihr gegensätzliche Optionen offenhalten – ein Arrangement mit den Westmächten ebenso wie eines mit dem «faschistischen» Erzfeind in Berlin.
Am 28. April beantwortete der «Führer und Reichskanzler» in einer Rede vor dem Reichstag die diplomatischen Aktivitäten der Westmächte und Polens mit der Aufkündigung des deutsch-britischen Flottenabkommens von 1935 und des deutsch-polnischen Nichtangriffspakts von 1934. Auf weiten Strecken war die Rede eine rhetorisch überaus geschickte Erwiderung auf einen Vorstoß des amerikanischen Präsidenten. Am 14. April hatte
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