Geschichte des Westens
als ein «Blitzkrieg» war für Hitler seit dem Sommer 1940 offensichtlich nicht mehr vorstellbar.
Großbritanniens, von den Vereinigten Staaten wirksam unterstützer, Widerstand hatte, dem Urteil des Historikers Andreas Hillgruber zufolge, eine «Umkehrung der bisherigen Vorstellungen Hitlers» bewirkt. «Ziel der Niederwerfung Frankreichs und des erhofften ‹Ausgleichs› mit Großbritannien war es ja gewesen, ihm die Rückenfreiheit, die sichere strategische Basis zu verschaffen, aus der heraus er zu einem geeignet erscheinenden Zeitpunkt nach Osten vorstoßen konnte. Nun wurde sein bisheriges Hauptziel, die Eroberung des Ostraumes, zugleich zum Mittel, mit den angelsächsischen Seemächten fertig zu werden, die nicht bereit waren, sich mit seiner Herrschaft über die mittleren und westlichen Teile Kontinentaleuropas abzufinden, sondern sie ihm streitig machten.» Bis zu diesem Punkt waren Hitlers Überlegungen Ende Juli 1940 gediehen. Unwiderruflich aber war, wie sich bald zeigen sollte, seine Zeitplanung damit noch nicht.
Die Sowjetunion hatte die Zeit, in der Deutschland den Westfeldzug zu einem triumphalen Abschluß brachte, in ihrem Sinn zu nutzen verstanden. Am 15. Juni besetzte die Rote Armee nach einem Ultimatum Litauen einschließlich jenes südwestlichen Zipfels, der am 28. September 1939 dem deutschen Interessengebiet zugeschlagen worden war. Zwei Tage später, am 17. Juni, folgte die Besetzung von Lettland und Estland, die am 6. August ebenso wie Litauen zu Sowjetrepubliken und damit zu einem Teil der Sowjetunion erklärt wurden. Bis zum Juni 1941 ließ die Sowjetunion fast 170.000 wirkliche oder vermeintliche Antikommunisten aus dem Baltikum ins Landesinnere der Sowjetunion, meist nach Sibirien, deportieren: 34.250 Personen aus Lettland, 60.000 aus Estland und 75.000 aus Litauen. Stalins nächster Schlag traf Rumänien. Es wurde am 26. Juni ultimativ aufgefordert, Bessarabien und die Nordbukowina an die Sowjetunion abzutreten. Zwei Tage später begann die Besetzung dieser Gebiete durch die Rote Armee.
Was Bessarabien betraf, hielt sich die Aktion im Rahmen der Aufteilung Südost- und Ostmitteleuropas in Interessensphären, wie sie am 23. August 1939 im deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt festgelegt worden war. Daß König Carol II. von Rumänien am 2. Juli Deutschland um eine Garantie seiner Grenzen und die Entsendung einer Militärmission bat, kam Hitler gelegen. Im Zweiten Wiener Schiedsspruch zwangen Deutschland und Italien am 30. August Rumänien zunächst, Nordsiebenbürgen und das Szeklerland an Ungarn abzutreten. Am 4. September ernannte Carol II. den deutschfreundlichen General Ion Antonescu zum Ministerpräsidenten und zum Staatsführer Rumäniens, am 6. September dankte er, von Antonescu gezwungen, zugunsten seines Sohnes Michael ab. Am folgenden Tag mußte Rumänien noch die südliche Dobrudscha Bulgarien überlassen. Die verbleibenden Grenzen wurden von den Achsenmächten anerkannt, ohne daß das Reich die an Rumänien vital interessierte Sowjetunion zuvor konsultiert hätte. Am 2. September beschloß Hitler, der Bitte des früheren Königs entsprechend, eine Militärmission nach Rumänien zu entsenden. Deutschland war einem strategischen Ziel, der Verfügung über die rumänischen Erdölquellen, ein gutes Stück näher gekommen.
Die deutsche Rumänienpolitik war eine Herausforderung der Sowjetunion, bedeutete aber nicht den Bruch zwischen Berlin und Moskau. Die Erdöl-, Erdmetall- und Getreidelieferungen aus der Sowjetunion, Teil des am 11. Februar 1940 abgeschlossenen deutschsowjetischenWirtschaftsabkommens beziehungsweise des vorausgegangenen Handelsabkommens vom 19. August 1939, gingen unvermindert weiter, und sie glichen in erheblichem Umfang die Folgen der britischen Seeblockade aus. Mitte September 1940 schwenkte Hitler sogar zeitweilig auf eine von Ribbentrop verfochtene Alternative zum Krieg gegen die Sowjetunion um: die Idee eines antibritischen «Kontinentalblocks» von «Yokohama bis Spanien», dem sich auch die Sowjetunion anschließen sollte. Am 4. Oktober traf sich Hitler mit Mussolini am Brenner, um mit ihm einen Interessenausgleich mit dem Spanien Francos und Vichy-Frankreich zu erörtern, die nach den Berliner Vorstellungen beide in den Kontinentalblock mit einbezogen werden sollten.
Knapp drei Wochen später, am 23. Oktober, fand im Bahnhof von Hendaye an der französisch-spanischen Grenze eine Unterredung zwischen Hitler und Franco
Weitere Kostenlose Bücher