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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Meldungen vom Untergang der 6. Armee lösten, so die Befunde aus Bayern, «tiefe Erschütterung», «tiefste Ergriffenheit», «tiefe Bestürzung» und «besondere Niedergeschlagenheit» aus. Trotz zunehmender Kritik auch an ihm persönlich wurde Hitler aber von der Volksmeinung nach wie vor wesentlich freundlicher bewertet als seine Paladine wie Goebbels und Göring, von regionalen und örtlichen Größen der NSDAP ganz zu schweigen. Wenn irgendein Repräsentant des «Dritten Reiches» noch Hoffnungen breiter Massen auf sich zu ziehen vermochte, dann der Mann an der Spitze. Den Pakt, den sie 1933 mit ihm geschlossen und danach, in Stunden des nationalen Triumphes,immer wieder erneuert hatte, wollte eine Mehrheit der Deutschen auch in einer Zeit schwerer Rückschläge und Niederlagen, ja selbst dann nicht aufkündigen, als die Angst vor Fliegeralarm und Bombenangriffen allnächtlich geworden war.[ 13 ]
    Hitlers Widersacher in London erlebte 1942, als die von Deutschland geführte «Festung Europa» ihre größte Ausdehnung erreichte, die innenpolitisch schwierigste Phase seiner Zeit als Kriegspremier: In breiten Kreisen galt Winston Churchill als politisch und militärisch glücklos und der Lordsiegelbewahrer, der brillante, seit seinem Ausschluß aus der Labour Party im Mai 1943 unabhängige Linkssozialist Sir Richard Stafford Cripps, als ein geeigneter Nachfolger. Erst der erfolgreiche Durchbruch von General Montgomery bei El-Alamein festigte Churchills Position aufs neue. Das Prestige seines Rivalen hingegen litt darunter, daß Cripps im Frühjahr während einer offiziellen Mission in Indien mit dem Versuch gescheitert war, den Nationalkongreß gegen das Versprechen künftiger Unabhängigkeit als Bundesgenossen im Kampf gegen die Achsenmächte zu gewinnen. Ende November fühlte sich Churchill stark genug, Cripps aus dem Kriegskabinett zu entfernen und auf den weniger bedeutenden Posten des Ministers für die Flugzeugproduktion abzuschieben.
    Einen Monat nach dem Triumph von El-Alamein, am 1. Dezember 1942, legte Sir William Beveridge, ein renommierter Wirtschaftswissenschaftler und liberaler Sozialreformer, dem Unterhaus und der britischen Öffentlichkeit einen Bericht unter dem Titel «Social Insurance and Allied Services» vor, den er im Auftrag von Arbeitsminister Ernest Bevin, einem prominenten Labour-Politiker, als Vorsitzender einer Expertengruppe angefertigt hatte. Es war ein weit in die Zukunft weisendes Manifest der gesellschaftlichen Erneuerung, das in vielem den Plänen der Deutschen Arbeitsfront vom September 1940 ähnelte.
    Beveridge entwarf das Bild einer britischen Nachkriegsgesellschaft, in der materielle Not, Arbeitslosigkeit, Krankheit ohne angemessene medizinische Fürsorge und Unbildung der Vergangenheit angehörten. Im Mittelpunkt des Berichts standen der Gedanke einer nationalen Einheitsversicherung, die auf wöchentlichen Beiträgen aller arbeitsfähigen über ein Einkommen verfügenden Einwohner beruhen und Kranken, Witwen, Arbeitslosen und Rentnern das Existenzminimum sichern sollte, sowie eine von staatlichen Gesundheitsämtern zu gewährendemedizinische Versorgung, ähnlich der, die 1938 von der Labour-Regierung in Neuseeland eingeführt worden war. Was den Beveridge Report sofort zum Bestseller machte, war nicht die Originalität seiner Vorschläge. Beeindruckend war vielmehr die plausibel begründete Bündelung vieler unterschiedlicher Ansätze, deren gemeinsamer Nenner darin bestand, daß sie darauf abzielten, den Klassencharakter der britischen Gesellschaft zu überwinden.
    In der Presse wurden die Empfehlungen der Beveridge-Kommission als geradezu revolutionäre Botschaft gewürdigt. Die «Times» schrieb, die Vorschläge müßten zur Grundlage der praktischen Politik gemacht werden. «Die Regierung hat damit die Gelegenheit erhalten, dieser Zeit der Entbehrungen den Stempel einer sozialen Tat aufzudrücken, mit der es gelingen wird, den Glauben der gewöhnlichen Männer und Frauen an die Kraft der Demokratie in aller Welt wiederherzustellen». Der «Economist» nannte den Bericht eines der bemerkenswertesten Dokumente, die jemals zu Papier gebracht worden seien. «Die wahre Probe auf den Beveridge-Plan wird sein, ob er, ohne Rücksicht auf die Interessen der Geschäftswelt, eine nationale Entschlossenheit erzeugen wird, offenkundige Mißstände zu beheben, und die Regierung zu einer Reihe von Entscheidungen zu veranlassen vermag, die, was immer dieser Krieg sonst noch an

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