Geschichte des Westens
Profiteuren der deutschen Kriegsherrschaft geworden waren. 345.000 Personen wurden vor Gericht gestellt und 60.000 verurteilt. Die Zahl der Belgier, die aktiven Widerstand leisteten, wird auf bis zu 70.000 geschätzt. Widerstand bedeutete zum Beispiel Hilfe für Juden, von denen viele durch Gewährung von illegalem Unterschlupf vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrt werden konnten, und für alliierte Flieger, die über Belgien abgeschossen worden waren. Daneben gab es, verstärkt seit 1943, zahlreiche Sabotageakteund eine spektakuläre Brückensprengung in den Ardennen im Dezember 1944, bei der Hunderte von deutschen Soldaten ums Leben kamen. Die große Mehrheit der Belgier ertrug die Fremdherrschaft, ohne mit den Deutschen zu kollaborieren oder aktiven Widerstand gegen sie zu leisten.
Anders als Belgien standen die Niederlande unter einer deutschen Zivilverwaltung mit dem österreichischen Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart als Reichskommissar. Die NSDAP hatte infolgedessen auf die deutsche Besatzungspolitik in den Niederlanden sehr viel mehr Einfluß als im südlichen Nachbarland. Da die germanischen Holländer als rassisch artverwandt galten, war die deutsche Besatzungspolitik längerfristig auf die Eingliederung der Niederlande in das erstrebte Großgermanische Reich abgestellt. In der Geschäftswelt und im Beamtentum gab es zwar eine verbreitete Bereitschaft, mit den Besatzern loyal zusammenzuarbeiten, aber keine Neigung, die Niederlande eines Tages in Deutschland aufgehen zu lassen.
Die Nationaal Socialistische Beweging um Anton Adriaan Mussert blieb mit ihren 80.000 Mitgliedern ohne festen Rückhalt in der Gesellschaft und wurde von den Besatzern im Interesse einer möglichst reibungslosen Zusammenarbeit mit den etablierten Eliten in Staat und Wirtschaft zunächst auch nicht sonderlich gefördert. 1941 gründete Mussert die SS-Freiwilligen-Legion Niederlande, die sich am Krieg gegen die Sowjetunion beteiligte. Eine von konservativen Kräften im Juli 1940 ins Leben gerufene, kollaborationswillige Einheitspartei, die Nederlandsche Unie, gewann rund zehnmal so viele Mitglieder wie die Partei Musserts, wurde aber, da sie sich als nicht hinreichend lenkbar erwies, von der deutschen Zivilverwaltung im Dezember 1941, wie zuvor schon die anderen Parteien, verboten. Das Parlament durfte seit Juni 1940 nicht mehr tagen. «Regiert» wurde das Land durch niederländische Generalsekretäre in den Ministerien, die unter deutscher Aufsicht arbeiteten. Die Minister hatten sich, zusammen mit Königin Wilhelmina, am 13. Mai 1940, drei Tage nach dem deutschen Angriff, ins Exil nach London begeben. Daß der Ministerpräsident Dirk Jan de Geer, ein konservativer Politiker, im Februar 1941 auf eigene Faust in die besetzte Heimat zurückkehrte und dort, von den Deutschen gefördert, für einen Kompromißfrieden unter Anerkennung der neuen Realitäten warb, war wenig mehr als ein persönliches Kuriosum.
Die Niederlande waren, wie schon erwähnt, das einzige von deutschen Truppen besetzte Land, in dem es zu offenen Protesten gegen die Verfolgung der Juden kam: zuerst im November 1940 an den Universitäten Leiden und Delft, dann im Februar 1941 in Form eines Generalstreiks in Amsterdam. Es sollten nicht die letzten Streiks während der Besatzungszeit bleiben. 1942 traten die Ärzte in den Ausstand. Als die Besatzungsmacht Ende April 1943 begann, die aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassenen niederländischen Soldaten für den Arbeitseinsatz im Reich zu erfassen, kam es, von Twente ausgehend, zu landesweiten Arbeitsniederlegungen. Im September 1944, als die Befreiung durch die Alliierten näher rückte, traten die Eisenbahner in den Streik.
Die Zwangsrekrutierungen niederländischer Arbeiter konnten durch solche Aktionen allerdings nicht verhindert werden. Kraft Besatzungsrecht waren männliche Niederländer im Alter von 18 bis 45 Jahren verpflichtet, der Aufforderung zum Arbeitseinsatz in Deutschland Folge zu leisten. 1944 wurden sogar Eisenbahnzüge ins Reichsgebiet umgeleitet, damit dort aus den Passagieren die zur Arbeit geeigneten ausgewählt werden konnten. Im November 1942 belief sich die Zahl der in Deutschland beschäftigten Niederländer auf 153.000, die der Belgier auf 130.000.
Die Besatzungsmacht reagierte auf jeden Streik mit äußerster Härte – auf den der Eisenbahner mit einer mehrwöchigen Blockade der Binnenschiffahrtswege, durch die die Lebensmittelversorgung der großen
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