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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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widersprach Churchill mit dem später vielzitierten Wort, «es wäre höchst bedauerlich, wenn man die polnische Gans dermaßen mit deutschem Futter mäste, daß sie an Verdauungsbeschwerden eingehe». Angesichts dieser Meinungsverschiedenheit versprachen die «Großen Drei» Polen lediglich einen «ansehnlichen Gebietszuwachs im Norden und im Westen», ohne sich in der Grenzfrage festzulegen.
    Daß die Westverschiebung Polens mit der Zwangsumsiedlung von Millionen Menschen verbunden sein würde, war allen Beteiligten bewußt. Churchill hatte sich bereits am 15. Dezember 1944 im Unterhaus dafür ausgesprochen, «reinen Tisch zu machen», und die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten des Reiches als das «befriedigendste und dauerhafteste Mittel» zur Erreichung dieses Zieles bezeichnet. Der britische Premierminister vermochte auch nicht einzusehen, weshalb in Deutschland kein Platz sein sollte für die Bevölkerung der an Polen (und im Falle des nördlichen Ostpreußen an die Sowjetunion) abzutretenden Gebiete. «Schließlich sind schon sechs bis sieben Millionen Deutsche in diesem schrecklichen Krieg getötet worden … Es ist auch zu erwarten, daß in den Kämpfen des kommenden Frühjahrs und Sommers noch mehr Deutsche getötet werden.»
    Mehr Skrupel als beim Thema Vertreibung zeigten die Führer der Westmächte gegenüber Stalins Forderung nach einer Anerkennung der Provisorischen Regierung Polens, des ehemaligen, von den Kommunisten im sowjetischen Auftrag eingesetzten Lubliner Komitees. Churchill verwies darauf, daß die souveräne Unabhängigkeit und Freiheit Polens für Großbritannien eine Frage der Ehre sei, war aber gleichwohl kompromißbereit.Nach den Vorstellungen des britischen Premierministers und des amerikanischen Präsidenten sollte die Provisorische Regierung erst durch die Aufnahme «demokratischer Führer» aus dem Exil und aus Polen selbst erweitert und danach allgemein anerkannt werden. Faktisch aber ließen Churchill und Roosevelt die Londoner Exilregierung unter dem kompromißunwilligen Sozialisten Tomasz Arciszewski bereits zu diesem Zeitpunkt fallen. Sie vertrauten auf das Versprechen Stalins, in Polen würden schon sehr bald, vielleicht bereits in einem Monat, freie Wahlen stattfinden, und besiegelten so, ohne sich dessen bewußt zu sein, das Schicksal des Landes, um dessentwillen Großbritannien Deutschland im September 1939 den Krieg erklärt hatte.
    Die Preisgabe Polens stand in einem größeren Zusammenhang: der Aufteilung Südost- und Ostmitteleuropas in Interessenzonen. Im Mai 1944 hatte Großbritannien der Sowjetunion vorgeschlagen, Rumänien als sowjetische und Griechenland als britische «Operationszone» zu behandeln. Im Lauf der Verhandlungen wurden die «Operationszonen» der beiden Mächte erweitert – die britische um Jugoslawien, die sowjetische um Bulgarien. Am 12. Juni stimmte Präsident Roosevelt diesem Arrangement zu. Bei den Moskauer Verhandlungen zwischen Stalin und Churchill im Oktober 1944, an denen auch der amerikanische Botschafter in der Sowjetunion, Averell Harriman, als Beobachter teilnahm, wurden dann auf scheinbar exakte Weise «Einflußsphären» abgesteckt. Demnach sollte der sowjetische Einfluß in Rumänien bei 90 und in Bulgarien bei 80 Prozent liegen, während sich Großbritannien in dem aus Londoner Sicht strategisch besonders wichtigen Griechenland einen Einfluß in Höhe von 90 Prozent zusichern ließ. Für Ungarn und Jugoslawien einigte man sich zunächst auf ein Verhältnis von 50 zu 50 – eine Regelung, die im Fall Ungarns kurze Zeit darauf zugunsten von 80 Prozent für die Sowjetunion korrigiert wurde.
    In Jalta war von einer solchen prozentualen Einflußverteilung keine Rede mehr. Inzwischen hatte die Rote Armee Rumänien und Bulgarien besetzt und die Deutschen aus Polen vertrieben; Belgrad war am 20. Oktober 1944 eingenommen worden, und während die Alliierten auf der Krim tagten, stand Budapest kurz vor dem Fall. Die «Großen Drei» begrüßten die Einigung zwischen dem exiljugoslawischen Ministerpräsidenten Šubašić und Tito, dem Führer des Antifaschistischen Rates, auf die Bildung einer Koalitionsregierung (in der, als sie sich am8. März 1945 konstituierte, die tatsächliche Macht bei den Kommunisten lag). In einer «Erklärung über das befreite Europa» gestanden Stalin, Roosevelt und Churchill allen Völkern unter Berufung auf die Atlantik-Charta das Recht zu, «demokratische Einrichtungen ihrer eigenen Wahl zu

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