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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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rückten um dieselbe Zeit Briten und Amerikaner in Deutschland vor. Am 18. April nahmen Truppen der USA Magdeburg, tags darauf Leipzig ein. Am 26. April fiel Bremen in die Hände der Briten. Am 30. April besetzte die siebte US-Armee München, die einstige «Hauptstadt der Bewegung». Doch die westlichen Alliierten eroberten im April 1945 nicht nur deutsche Städte, sie befreiten auch deutsche Konzentrationslager: am 11. April Buchenwald, am 15. April Bergen-Belsen, am 29. April Dachau. Die Bilder und Filmaufnahmen von fast verhungerten Häftlingen und riesigen Leichenbergen gingen um die Welt und prägten sich tief in das Gedächtnis der entsetzten Zeitgenossen ein.
    An einen «Endsieg» glaubte in den letzten Wochen des «Dritten Reiches» nur noch eine winzige Minderheit fanatischer Nationalsozialisten. «Das Volk hat die Nerven vollständig verloren und ist furchtbar aufgeregt und verängstigt», heißt es in einem Stimmungsbericht aus dem bayerischen Bad Aibling vom März 1945. Aus Berchtesgaden meldete der SD am 7. März, es sei «der breiten Masse ganz einerlei, wie das künftige Europa aussieht. Aus allen Gesprächen ist zu entnehmen, daß sich die Volksgenossen aller Schattierungen so bald als möglich den Lebensstandard der Vorkriegszeit herbeiwünschen und gar keinen Wert darauf legen, in die Geschichte einzugehen.» Ein Einwohner derselben Stadt wurde mit der Bemerkung zitiert: «Hätte man 1933 geahnt, daß sich die Ereignisse so zuspitzen würden, wäre Hitler nie gewählt worden.» Einem anderen Bericht zufolge wurde um diese Zeit auch die Meinung geäußert: «Der Führer wurde uns von Gott gesandt, aber nicht um Deutschland zu retten, sondern um Deutschland zu verderben. Die Vorsehung hat beschlossen, das deutsche Volk zu vernichten, und Hitler ist der Vollstrecker dieses Willens.»
    Hitler war entschlossen, Deutschland und das deutsche Volk mit in den Abgrund zu reißen, falls der Krieg mit einer Niederlage des Reichesenden sollte. Am 19. März erließ er einen Befehl, überall, wo ein Gebiet dem Feind preisgegeben werden mußte, sämtliche militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte zu zerstören. (Erst fünf Wochen später erfuhr er von Rüstungsminister Speer, daß dieser den Befehl nicht nur nicht ausgeführt, sondern die Ausführung verhindert hatte.) Die große Hoffnung des «Führers» war bis in den April hinein das Zerbrechen der Allianz zwischen den westlichen Demokratien und dem bolschewistischen Rußland. Als er die Nachricht vom Tod Roosevelts erhielt, wähnte er, von Goebbels in dieser Einschätzung bestärkt, daß nun der Bruch des feindlichen Bündnisses unmittelbar bevorstehe. Als diese Erwartung sich nicht erfüllte, äußerte er die Zuversicht, daß die Entscheidungsschlacht erst in Berlin geschlagen – und von ihm gewonnen werden würde.
    Am 20. April, dem 56. Geburtstag Hitlers, erreichten sowjetische Panzer die Außenbezirke der Reichshauptstadt und nahmen Berlin unter Beschuß. Die meisten Würdenträger des «Dritten Reiches» sahen Hitler an diesem Tag zum letzten Mal. Kurz nach der Gratulationscour im Führerbunker verließen Göring, Himmler und die meisten Reichsminister, darunter Speer (dieser freilich noch nicht endgültig), Berlin. Zwei Tage später gab Goebbels bekannt, daß sich Hitler entschlossen habe, in Berlin zu bleiben.
    Manche Vasallen des «Führers» interpretierten diese Entscheidung als Akt der Resignation, ja des faktischen Amtsverzichts. Göring, seit 1941 der prädestinierte Nachfolger Hitlers, teilte am 23. April vom Obersalzberg bei Berchtesgaden telegraphisch mit, daß er, falls er bis 22 Uhr nichts anderes aus Berlin höre, an die Spitze des Reiches treten werde. Im Führerbunker hatte man keinen Zweifel daran, was Görings Absicht war: Er wollte in Kapitulationsverhandlungen mit den Westmächten eintreten. Hitler erzwang den Rücktritt Görings von allen s einen Ämtern und ordnete Hausarrest für den bisherigen «Reichsmarschall» an.
    Weit schärfer fiel die Reaktion Hitlers aus, als am 28. April bekannt wurde, daß Himmler sich fünf Tage vorher in Lübeck mit dem Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, Folke Graf Bernadotte, getroffen und über diesen den Westalliierten die Kapitulation des Reiches angeboten habe. Hitler sprach vom «schamlosesten Verrat in der deutschen Geschichte» und befahl, wenn auch vergeblich, die sofortige Verhaftung und, wenn möglich, die Liquidation

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