Geschichte des Westens
Gebiete östlich von Oder und Lausitzer Neiße, ein Viertel des Territoriums des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937, sich als ein bloßes Stück Papier erweisen würde. Deutschland in den Grenzen von 1937, der auch von Stalin akzeptierte Ausgangspunkt der Potsdamer Konferenz, verwandelte sich durch ebendiese Konferenz in eine juristische Fiktion. Das wirkliche Deutschland bestand aus dem von den vier Alliierten besetzten und vom Alliierten Kontrollrat regierten Gebiet: Es war das aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangene Deutschland in den Grenzen von 1945, also ohne Ostpreußen, Hinterpommern, die brandenburgische Neumark und Schlesien.
In der Reparationsfrage kamen die Westalliierten Stalin ebenfalls entgegen, wenn auch nicht so weit wie in der polnischen Grenzfrage. Die erstrebte Mitwirkung an der Kontrolle des Ruhrgebiets erreichte die Sowjetunion in Potsdam nicht, wohl aber eine Anerkennung ihres Anspruchs auf Reparationsleistungen aus den drei westlichen Besatzungszonen. Einig waren sich die «Großen Drei» zumindest im Prinzip darin, daß die Reparationen innerhalb der nächsten zwei Jahre aus der Demontage von deutschen Industrieanlagen, und zwar mit dem Ziel der Vernichtung des deutschen Kriegspotentials, sowie aus deutschem Auslandsvermögen entnommen werden sollten. Reparationsleistungen aus der laufenden Produktion, wie sie die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone praktizierte, sah das Potsdamer Abkommen nicht vor.
Entsprechend einer Empfehlung der in Jalta eingesetzten Alliierten Reparationskommission erhielt die Sowjetunion, die am meisten unterdem von Hitler entfesselten Krieg gelitten hatte, 56 Prozent der Reparationen aus allen Besatzungszonen sowie 10 Prozent aus den Industrieanlagen, die in den westlichen Zonen zu demontieren waren. Dazu kamen weitere 15 Prozent dieser Anlagen, für die die Sowjetunion im Austausch Nahrungsmittel, Kohle, Kali, Zink, Holz, Ton- und Petroleumprodukte aus ihrer Besatzungszone zu liefern hatte. Die Reparationsansprüche Polens waren aus dem sowjetischen Reparationsanteil zu befriedigen. Österreich, dem vermeintlich «ersten Opfer» Hitlers, blieben auf amerikanisches Drängen hin Reparationszahlungen erspart. Im Hinblick auf das deutsche Auslandsvermögen verzichteten die USA und Großbritannien zugunsten der Sowjetunion auf Ansprüche in Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Oberösterreich und Finnland, während die Sowjetunion ihrerseits keine Ansprüche auf deutsches Auslandsvermögen westlich der genannten Gebiete und auf das Gold erhob, das die Westmächte in den zeitweise von ihnen okkupierten Teilen der sowjetischen Besatzungszone erbeutet hatten.
Die Potsdamer Reparationsregelung war ein konfliktträchtiges Provisorium. Auf britisches Drängen hin unterblieb die von der Sowjetunion geforderte Festlegung der Gesamthöhe der Reparationen auf 20 Milliarden Dollar. Da jede Besatzungsmacht die Reparationen aus ihrer Zone entnehmen sollte, hing alles von der Bereitschaft der Alliierten zur Zusammenarbeit ab. Doch schon bald nach dem Treffen der «Großen Drei» wurde deutlich, daß die Sowjetunion ihre Reparationen entgegen den Potsdamer Vereinbarungen wie schon zuvor in hohem Maß aus der laufenden Produktion entnahm. Damit gefährdete sie nicht nur die Versorgung der deutschen Bevölkerung in der eigenen Besatzungszone, sie brach auch ihre Zusage, auf dem Wege des Austausches Lebensmittel und andere Güter in die westlichen Besatzungszonen zu liefern. Unter diesen Bedingungen war die erklärte Absicht von Truman, Attlee und Stalin, Deutschland in den Grenzen von 1945 als wirtschaftliche Einheit zu behandeln, nicht zu verwirklichen.
Die praktische Umsetzung dieser Maxime wurde indes auch von einer westlichen Besatzungsmacht boykottiert: Frankreich, das an der Potsdamer Konferenz nicht teilgenommen hatte, kündigte in einer Note vom 7. August 1945 in kaum verschlüsselter Form sein Veto gegen die Errichtung deutscher zentraler Verwaltungsabteilungen an, die nach dem Willen der anderen drei Besatzungsmächte die Alliierten bei der Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands unterstützensollten. Seine Stellungnahme zur Potsdamer Reparationsabsprache behielt sich Frankreich, obwohl es der alliierten Reparationskommission beitrat, noch vor. Generell betrachtete Paris nur
die
Potsdamer Beschlüsse als für sich bindend, denen es im nachhinein ausdrücklich zugestimmt hatte.
Die möglichen Folgen des Ausschlusses Frankreichs von der Potsdamer
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