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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Kommunisten, wo immer möglich, in die wichtigsten Schaltstellen geschleust. Kurzfristig ausgebildete «Volksrichter» und «Neulehrer» ersetzten ihre politisch belasteten Vorgänger. Gesichtspunkte wie Professionalität und Effizienz spielten bei diesem Personenwechsel keine Rolle: Entnazifizierung und kommunistische Kaderpolitik gingen nahtlos ineinander über.
    Den Gegenpol zur sowjetischen Besatzungszone bildete die französische Zone. Frankreich verhielt sich gegenüber ehemaligen nationalsozialistischen Beamten vergleichsweise großzügig: Die Vergangenheit der «Parteigenossen» wurde von Anfang an als Druckmittel benutzt, um die Betroffenen zur Loyalität zu zwingen. Entlassungen aus dem Amt, Verhaftungen und Internierungen gab es freilich auch hier. Sie bildeten in allen vier Besatzungszonen die erste Phase der Entnazifizierung, die bis in das Jahr 1946 hinein fortdauerte. Die zweite Phase, die in der amerikanischen Zone im März 1946, in der britischen und französischen Zone ein halbes Jahr später begann, stand im Zeichen gerichtsähnlicher Verfahren vor «Spruchkammern». Sie teilten die Deutschen, deren «Fragebogen» zu einem Verfahren Anlaß gaben, in fünf Gruppen ein: Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Am strengsten verfuhren dabei die Amerikaner: Sie stuften nur eine winzige Minderheit als «entlastet» ein und belegten «Mitläufer» zunächst mit einem Berufsverbot. Die Briten verzichteten auf eine solche Maßnahme und erklärten mehr als die Hälfte der Überprüften für «entlastet».
    Je mehr sich seit 1947 der Gegensatz zwischen Ost und West zuspitzte,desto toleranter wurden auch die Amerikaner gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten. Hitler war jahrelang ein nationaler Heros, seine Partei eine Massenbewegung gewesen. Strenge gegenüber seinen früheren Gefolgsleuten drohte ein Reservoir von sozialer Unzufriedenheit und politischem Radikalismus zu schaffen. Von Nachsicht, gekoppelt mit «re-education», also politischer Umerziehung, waren bessere Ergebnisse zu erwarten: eine rasche Eingewöhnung in die Demokratie und Widerstandskraft gegenüber extremen Parolen von rechts und links. Die Entnazifizierung erwies sich alles in allem als Fehlschlag. Wer nicht strafrechtlich verurteilt wurde, konnte im Westen Deutschlands nach 1949 meist in seine frühere berufliche Stellung zurückkehren. Nicht nur «Mitläufer» und «Minderbelastete», auch «Belastete» durften nach Ablauf einiger Jahre hoffen, nicht mehr mit ihrer politischen Vergangenheit konfrontiert zu werden.
    Gegenüber «kleinen» Nationalsozialisten verfuhr die sowjetische Besatzungsmacht nicht viel anders: Sie durften umlernen und sich in aufrechte «Antifaschisten» verwandeln. Der wichtigste Teil der Entnazifizierung waren aus der Sicht der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland ohnehin nicht individuelle Sanktionen, sondern strukturelle Eingriffe. Darunter war die Brechung der Macht jener Klassen zu verstehen, die nach marxistisch-leninistischer Auffassung dem Faschismus zur Macht verholfen hatten. Diesem Ansatz entsprach die «Bodenreform» vom September 1945, die dem ostelbischen Junkertum im Wortsinn den Boden entzog. Rund 7000 Großgrundbesitzer wurden entschädigungslos enteignet, um, so die Kampfparole, «Junkerland in Bauernhand» gelangen zu lassen. Unter den 500.000 Menschen, die auf diese Weise Grundbesitz zugeteilt erhielten, waren auch 83.000 «Umsiedler», also Heimatvertriebene aus den Ostgebieten.
    Die Enteignung traf keineswegs nur ehemalige Förderer des Nationalsozialismus, sondern auch Gegner desselben. Spezifisch kommunistisch war der radikale Eingriff dennoch nicht. Eine Änderung der Eigentumsverhältnisse in der ostelbischen Gutswirtschaft zugunsten kleinerer und mittlerer Bauern hatten bürgerliche Agrarreformer seit vielen Jahrzehnten gefordert, dabei allerdings nicht an eine entschädigungslose Enteignung gedacht. Der Popularität der «Bodenreform» tat das kaum Abbruch: Bis weit in das Bürgertum hinein galt die Umverteilung des Rittergutsbesitzes als gerechtfertigt, ja überfällig.
    Von der wenig später, im Oktober 1945, eingeleiteten «Industriereform»läßt sich das nicht sagen. Von ihr waren keineswegs nur «Kriegsverbrecher» und «Nazis» betroffen, sondern das Großunternehmertum schlechthin. Bis zum Frühjahr 1948 wurden fast 10.000 Unternehmen ohne Entschädigung in Staatsbesitz überführt – mit der Folge, daß zu diesem Zeitpunkt

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