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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Kriegsideologen den «Ideen von 1789» die «Ideen von 1914» gegenüber und präsentierten damit den deutschen Kultur-, Macht- und Obrigkeitsstaat als überlegene Antwort auf die universellen Werte der westlichen Demokratien.
    Nach der Niederlage von 1918 galt die parlamentarische Demokratie von Weimar einem großen Teil der meinungsbildenden Eliten als Staatsform der Sieger und damit als «undeutsch» – eine Deutung, der sich auch Hitler anschloß. Der Nationalsozialismus war die extremste Steigerung des antiwestlichen Ressentiments der Deutschen. Was «modern» war am «Dritten Reich», reflektierte immer auch die normativen Defizite des deutschen Modernisierungsprozesses. Ohne den Rückhalt bei den vor- und antidemokratischen Traditionen, an die er anknüpfen konnte, hätte Hitler Deutschland 1933 nicht seiner Herrschaft zu unterwerfen vermocht, und nur weil er im Besitz der Staatsmacht war, konnte er eine radikale Lösung der Judenfrage, einen zentralen Teil des nationalsozialistischen Projekts, in Angriff nehmen und verwirklichen. Der Holocaust hatte eine Vorgeschichte, die über die Geschichte des Antisemitismus und Rassismus hinausreichte und nicht zu trennen war von der allgemeinen deutschen Geschichte – der Geschichte eines weithin westlichen Landes, dessen traditionelle Eliten sich einer Öffnung gegenüber der politischen Kultur des Westens bis 1945 beharrlich verweigert hatten und das nun die Folgen dieser katastrophalen Politik tragen mußte.[ 30 ]
    Als im Oktober 1946 in Nürnberg das Urteil im Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher verkündet wurde, war die Besatzungsherrschaft in Italien längst zu Ende gegangen. Solange sie im Amt war, bis zum 31. Dezember 1945, hatte die britisch-amerikanische Militärregierungdas letzte Wort in der Gesetzgebung: Ohne ihre Zustimmung trat kein Gesetz und keine Veränderung in Kraft. Die Westalliierten nahmen entscheidenden Einfluß auf die Säuberung des öffentlichen Dienstes, die Neuordnung des Pressewesens und die Kulturpolitik.
    Die Abrechnung mit dem Faschismus hatte in den Teilen Italiens, die nicht von den Deutschen besetzt waren, schon 1943 begonnen – am radikalsten in Gestalt «wilder» Säuberungen, die zwischen 1943 und 1946 etwa 1200 Faschisten das Leben kosteten. Parallel dazu lief die offizielle politische Säuberung, die «epurazione», an. An ihr beteiligten sich von der alliierten Militärregierung eingesetzte Ausschüsse, Säuberungskomitees der Befreiungsausschüsse und staatliche Kommissionen. Von den unter Mussolini ins Amt gelangten Bürgermeistern wurden die meisten entlassen; für die Inhaber leitender Positionen im staatlichen Verwaltungsapparat galt dasselbe. In Norditalien gingen von den Kommunisten dominierte Säuberungskommissionen sehr viel weiter: Sie entließen in manchen Fabriken nicht nur ehemalige Faschisten aus ihren Funktionen, sondern darüber hinaus alle Personen, die aus ihrer Sicht «arbeiterfeindlich» waren.
    Anders als in Deutschland blieb in Italien die juristische Aufarbeitung der Diktaturzeit der Gerichtsbarkeit des eigenen Landes vorbehalten. Wo das geltende Strafgesetzbuch (das aus dem Jahr 1931, also der Ära Mussolini, stammte) an seine Grenzen stieß, griff der neugeschaffene, für die oberste Garnitur der faschistischen Staats- und Parteiführung zuständige Gerichtshof, die Alta Corte di Giustizia, ebenso wie der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg auf die allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze zurück, wich also bewußt vom Prinzip des «nulla poena sine lege» ab. Dasselbe taten die außerordentlichen Schwurgerichte, die zwischen 1945 und 1947 zwischen 20.000 und 30.000 Verfahren gegen politisch belastete Faschisten und Kollaborateure durchführten und dabei etwa 1000 Todesurteile und noch sehr viel mehr langjährige Haftstrafen verhängten. «In keinem anderen Land Europas – Frankreich vielleicht ausgenommen – gingen die Gerichte so rasch und so massiv gegen belastete Faschisten vor», schreibt Hans Woller. «Nirgendwo sonst mußten sich schon 1945 so viele Repräsentanten des untergegangenen Regimes für ihre Schandtaten verantworten wie in Italien.»
    Bis Ende 1945 standen die italienischen Regierungen bei der «Entfaschistisierung»unter dem massiven Druck der Alliierten. Nach dem Abzug der Besatzungstruppen entfiel dieser Faktor. Die Christlichen Demokraten, die seit dem 4. Dezember 1945 mit Alcide de Gasperi den Ministerpräsidenten einer Allparteienregierung stellten, waren

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