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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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DNVP schnitt mit 10,3 Prozent schlechter ab als die konservativen und antisemitischen Parteien, die 1912 auf 15,1 Prozent gelangt waren. Der Rückhalt der monarchistischen Kräfte war also eher schwach: eine Folge
auch
des persönlichen Ansehensverlustes, den Wilhelm II. schon vor 1914, aber erst recht in den Kriegsjahren erlitten hatte. Die Nutznießer des Frauenstimmrechts waren die DDP und die besonders kirchenfreundlichen Parteien, die sich bislang den Forderungen der Suffragetten hartnäckig widersetzt hatten: bei den Protestantinnen, vor allem Ostelbiens, die Deutschnationalen, bei den Katholikinnen Zentrum und BVP.
    Die Entscheidungen über die Grundlegung der deutschen Republikfielen zwischen Februar und August 1919 in Weimar. Der thüringische «Musentempel» schien sicherer als das von Unruhen erschütterte Berlin; Weimar, der Inbegriff der deutschen Klassik, als Tagungsort der Nationalversammlung, würde, so hofften die maßgebenden Akteure, auch im Ausland auf ein positives Echo stoßen. Am 6. Februar 1919 trug Friedrich Ebert als bisheriger Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten vor der Nationalversammlung einen Rechenschaftsbericht vor, in dem er von seinen Kollegen und sich selbst sagte, sie seien «im eigentlichen Wortsinne die Konkursverwalter des alten Regimes» gewesen. Das war so ehrlich wie zutreffend. Hätten sich die regierenden Sozialdemokraten als Gründerväter einer Demokratie gefühlt, hätten sie wohl weniger bewahrt und mehr verändert. Ihr Handlungsspielraum war begrenzt, aber nicht so eng, wie sie meinten. Sie hätten dem Militär und dem hohen Beamtentum gegenüber mit mehr Selbstbewußtsein auftreten und im öffentlichen Dienst dafür sorgen können, daß offenkundige Gegner des neuen Staates nicht in Schlüsselpositionen verblieben, wie das vor allem in den altpreußischen Gebieten bis hinunter zur Ebene der Landräte durchgängig geschah.
    Daß Preußen als Staat erhalten bleiben würde, war im November noch keineswegs sicher gewesen. Es gab ein starkes Streben nach Loslösung vom ehemaligen Hohenzollernstaat (und teilweise auch vom Reich) im katholischen Rheinland; der neue Staatssekretär des Reichsamts des Innern, der linksliberale Berliner Staatsrechtler Hugo Preuß, dem der Rat der Volksbeauftragten die Ausarbeitung einer neuen Reichsverfassung übertragen hatte, wollte, um ein «Übergewicht
eines
Staates und einen neuen Dualismus» zwischen Preußen und dem Reich zu verhindern, Preußen in mehrere kleinere Staaten auflösen. Unter den schärfsten Widersachern dieses Vorschlags waren die regierenden preußischen Sozialdemokraten mit dem Ministerpräsidenten Paul Hirsch an der Spitze. Ihre Argumente waren durchschlagend: Nur ein einheitliches Preußen könne eine Klammer zwischen Ost und West bilden, den von Frankreich geförderten Sezessionsbestrebungen im Rheinland und dem polnischen Druck auf Ostpreußen wirksam entgegentreten, also die Einheit des Reiches bewahren und darüber hinaus die weitere Politisierung des konfessionellen Gegensatzes zwischen Protestanten und Katholiken verhindern. Die «Propreußen» setzten sich durch – zur Genugtuung nicht nur der preußischen Sozialdemokraten,sondern auch ihrer schärfsten Gegner, der preußischen Konservativen und ihrer verläßlichsten Stütze, der Rittergutsbesitzer.
    Eine Aufteilung des ländlichen Großgrundbesitzes zugunsten von landarmen Bauern und Landarbeitern hatte nach dem November 1918 nicht ernsthaft zur Debatte gestanden, weil die Revolutionsregierungen im Reich und in Preußen die Lebensmittelversorgung nicht gefährden wollten, die angesichts der andauernden alliierten Blockade Deutschlands ohnehin höchst prekär war. Den ostelbischen Gutsherren gestatteten die Volksbeauftragten sogar, die Bildung gemeinsamer Räte von Großgrundbesitzern, Mittel- und Kleinbauern, was einer pauschalen Garantie der ländlichen Eigentumsverhältnisse gleichkam. Auch andere alte Eliten zogen Nutzen aus der politischen Zurückhaltung der neuen Regierung: Justiz, Universitäten und Gymnasien blieben von der Revolution nahezu unberührt. Daß es dort zahlreiche Gegner der Republik gab, wußte man auch schon 1918. Eine großangelegte politische «Säuberung» aber hätte das gesamte Bürgertum gegen den neuen Staat aufgebracht, was die Sozialdemokraten nicht wollen konnten.
    Die Eliten des Kaiserreichs hatten folglich die Möglichkeit, von den gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Macht mehr in die neue Zeit

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