Geschichte Hessens
betraf das gesamte linksrheinische Rheinhessen sowie südlich des Mains die Kreise Groß-Gerau und Offenbach und reichte bis in die Randbezirke der Landeshauptstadt Darmstadt. Auch Gebiete der preußischen Provinz Hessen-Nassau im Regierungsbezirk Wiesbaden, im Rheingau, im Taunus und im nördlichen Nassau gehörten zur besetzten Zone. Faktisch unterstanden damit ein Viertel des Territoriums und mehr als ein Drittel der Bevölkerung des Volksstaates Hessen französischer Beaufsichtigung und waren so dem unmittelbaren Einfluß der Darmstädter Landesregierung entzogen. Die Bewohner unterlagen dem Kriegsrecht mit nächtlicher Ausgangssperre, Zensur und Versammlungskontrolle. Verkehrsbeziehungen und Verwaltungskontakte zur besatzungsfreien Zone wurden unterbrochen. Es war offensichtlich, daß die Besatzungspolitik der französischen Militärverwaltung weitergehende politische Ziele verfolgte. Sie gewährte der kleinen, auch in Rheinhessen und im preußischen Regierungsbezirk Wiesbaden aktiven Gruppe rheinischer Separatisten tatkräftige Unterstützung, als diese 1919 und erneut 1923/24 versuchte, eine «Rheinische Republik» in enger Anlehnung an Frankreich zu errichten. Der vorzeitige Abzug der französischen Besatzungstruppen im Juli 1930 wurde in ganz Hessen begeistert gefeiert.
Waldeck.
Politisch führend waren in der Weimarer Republik bis Anfang der 1930er Jahre die Sozialdemokraten – sowohl im Volksstaat Hessen als auch in der Provinz Hessen-Nassau, die im Rahmen des preußischen Staatsverbandes weiterbestand. Nur in Waldeck dominierten nach 1918 die konservativen und rechtsliberalen Parteien. Dort war ohnehin keine Bereitschaft zu revolutionären Aktionen vorhanden gewesen. Das besonders hohe Maß an Beliebtheit des durch soziales und karitatives Engagement ausgezeichneten Fürstenhauses hatte dazu geführt, daß der seit 1893 regierende Fürst Friedrich (1865–1946) – als letzter deutscher Landesherr – erst am 13. November 1918 durch eigens angereiste Vertreter des Kasseler Arbeiter- und Soldatenrats für abgesetzt erklärt wurde, ohne daß sich daraus unmittelbare verfassungsrechtliche Konsequenzen ergeben hätten, zumal die meisten Bürger Waldecks in der Existenz der Monarchie, nicht zu Unrecht, eine Garantie der staatlichen Unabhängigkeit ihres kleinen Landes erblickten. Der Fürst residierte weiterhin in seinem Schloß in Arolsen, und da die waldeckschen Politiker in den 1920er Jahren für ihr Land keine neue republikanische Verfassung ausarbeiteten, blieb die monarchische Konstitution von 1849/52 formell bis zum Anschluß des Landes an Preußen 1929 in Kraft.
Parlament und Parteien.
Im Volksstaat Hessen hingegen hatte die SPD bei der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung im Januar 1919 44,5 % aller Stimmen erhalten und bildete mit den Linksliberalen (DDP: 18,9 %) und der politischen Interessenvertretung der deutschen Katholiken (Zentrum: 17,6 %) eine Koalitionsregierung. Auch die unter dem Kabinett des von 1919 bis 1928 amtierenden SPD-Staatspräsidenten Carl Ulrich (1853–1933) durchgeführten ersten drei Landtagswahlen ergaben eine klare Mehrheit für die drei Parteien der 1918 erstmals gebildeten «Weimarer Koalition» (1921: 42, 1924: 43, 1927: 42 von 70 Parlamentssitzen). Das garantierte zunächst relativ stabile Verhältnisse im Land. Diese änderten sich erst unter dem Eindruck der ab 1929 auch im Volksstaat Hessen dramatisch anwachsenden wirtschaftlichen und sozialen Krisenlage.Die Landtagswahlen vom November 1931 brachten der NSDAP Adolf Hitlers rund 37 % der Stimmen und – als der nun mit Abstand stärksten Fraktion – 27 Landtagssitze, alle anderen Rechtsparteien versanken in der Bedeutungslosigkeit. Die stark geschwächte Regierung unter Vorsitz des seit 1928 amtierenden SPD-Staatspräsidenten Bernhard Adelung (1876–1943) blieb jedoch ohne parlamentarische Mehrheit trotz eines Mißtrauensvotums bis 1933 als geschäftsführend im Amt; eine Neuwahl des Staatspräsidenten kam aufgrund des Stimmenverhältnisses im Landtag nicht zustande. Ähnlich entwickelte sich die Lage in der preußischen Provinz Hessen-Nassau. Nach anfänglich starker Dominanz der Sozialdemokraten stieg hier der Anteil nationalsozialistischer Wählerstimmen seit den Reichstagswahlen von 1930 stetig an und lag bei allen seitdem noch durchgeführten Wahlen stets erheblich über dem Reichsdurchschnitt. In einigen Regionen der Provinz, zum Beispiel in Alsfeld und Lauterbach, in Schotten,
Weitere Kostenlose Bücher