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Geschichte Hessens

Geschichte Hessens

Titel: Geschichte Hessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank-Lothar Kroll
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österreichischer Seite gefochten und standen mithin im Lager der Verlierer. Das Land verdankte den Erhalt seiner Unabhängigkeit allein der Intervention des mit dem großherzoglichen Haus eng verwandten Zarenhofes. Die Schwester des seit 1848 regierenden Großherzogs Ludwig III. (1806–1877), als Marija Alexandrowna Gattin des russischen Zaren Alexander II., ließ über ihren Gemahl bei Bismarck massiv zugunsten des Erhalts ihres Heimatlandes als Gliedstaat des sich formierenden Norddeutschen Bundes intervenieren. Im Fall einer Annexion Darmstadts durch Preußen drohte der Zar mit dem Einmarsch russischer Truppen nach Ostpreußen.
     
    Darmstadt unter Ernst Ludwig.
Im späten Kaiserreich vermochte Hessen-Darmstadt dann noch einmal starke internationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das lag vor allem an der Person des letzten dort (seit 1892) regierenden Monarchen, des Großherzogs Ernst Ludwig (1868–1918). «Unser Großherzog», so berichtete der rheinhessische Schriftsteller Carl Zuckmayer (1896–1977) in seinen Lebenserinnerungen, «konnte der Sympathie seiner Landsleute, bis in die Kreise der radikalen Intellektuellen und der revolutionären Arbeiterschaft sicher sein. Er war ein urbaner, gebildeter Herr, der … sich in der Kriegszeit niemals zu militanten oder hurrapatriotischen Kundgebungen mißbrauchen ließ. … Ich habe ihn oft während meiner Gymnasialzeit in seiner Theaterloge gesehen, eine schlanke Gestalt im dunklen Anzug, mit schmalem, feinem Gesicht, wenn er zu einem besonderen Konzert in Mainz erschien und die stehende, ehrfurchtsvolle Begrüßung durch das Publikum, sichtlich etwas verlegen, mit einer liebenswürdigbescheidenen Geste erwiderte» (Werkausgabe 1976, Bd. 1, S. 261). Zuckmayers Lob war mehr als berechtigt. Ernst Ludwig erwies sich nicht nur als modernerRegent von großem Weitblick, mit unverkrampften Kontakten zu allen politischen Gruppierungen des Landes, einschließlich der hessischen Sozialdemokraten. Der kunstbegeisterte Großherzog war darüber hinaus auch ein eifriger Anhänger und Förderer der damals modernsten Kunstrichtung in Deutschland, des «Jugendstils». Durch die Gründung der Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe, den Aufbau von Manufakturen für angewandte Kunst und die Errichtung von Produktionsstätten für bibliophile Bücher («Ernst-Ludwig-Presse») schuf er der neuen Kunstauffassung Raum und Entfaltungsmöglichkeiten. Namhafte Jugendstilkünstler wie Peter Behrens und Hans Christiansen, Ludwig Habich und Josef Maria Olbrich wurden damals nach Darmstadt verpflichtet.
    Eine Art Bilanz dieser Bemühungen bot die 1901 auf der Mathildenhöhe eröffnete, weitgehend vom Großherzog selbst konzipierte und verantwortete Ausstellung «Ein Dokument deutscher Kunst», die das Anliegen des «Jugendstils» – die Verknüpfung von Kunst und Handwerk zu einem neuen Wohn- und Lebensgefühl – in einer fünfmonatigen, auf große internationale Resonanz treffenden Leistungsschau präsentierte. Während man 1901 vorzugsweise luxuriöse Kostbarkeiten vorgestellt hatte, bot die 1908 in Darmstadt gezeigte «Hessische Landesausstellung für freie und angewandte Kunst» Stücke, die auch für nicht überreich bemittelte Bürger erschwinglich waren, unter anderem im Rahmen eines sich durch billige Wohnungen auszeichnenden Arbeiterdorfes. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 blieb Darmstadt der wichtigste Vorposten der architektonischen und kunstgewerblichen Avantgarde in Deutschland und hat sich in diesem Sinn als Erinnerungsort bei jenen, die damals aktiv am Geschehen beteiligt waren, unauslöschlich eingeprägt. «Für uns, als wir jung waren», meinte etwa der spätere erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, in einem Rückblick auf seine Jugendzeit, «begann das zwanzigste Jahrhundert, als Versprechen wie als Aufgabe, recht eigentlich in Darmstadt» (Lob der Provinz, 1967, S. 57). Von den breitgefächerten kulturpolitischen Aktivitäten des Darmstädter Großherzogs profitierte im übrigen nicht nurdas künstlerische Niveau seines Landes, sondern auch dessen wirtschaftliche Entwicklung. Denn die programmatisch betriebene Verbindung von Kunst und Handwerk, wie sie die Darmstädter Jugendstil-Künstler und «ihr» Großherzog propagierten, führte zu einer spürbaren Qualitätssteigerung des lokalen Handwerks und zu einem deutlichen ökonomischen Aufschwung mittelständischer Gewerbebetriebe, besonders der

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