Geschichte Hessens
von Hessen aus mit vielbeachteten Erklärungen und Beschlüssen an die Öffentlichkeit gewandt: Die katholische Deutsche Bischofskonferenz verabschiedete damals in Fulda auf ihrer ersten Nachkriegstagung ein Schuldbekenntnis zur Mitverantwortung auch vieler katholischer Christen für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Und die fast gleichzeitig in Treysa tagende Evangelische Kirchenversammlung, auf der Repräsentanten von zwölf evangelischen Landeskirchen zugegen waren, beschloß die Bildung eines «Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland». Dessen stellvertretenden Vorsitz übernahm der 1945 aus achtjähriger KZ-Haft befreite Pastor und prominenteste Vorkämpfer der «Bekennenden Kirche» im Dritten Reich, Martin Niemöller (1892–1984). Zwischen 1947 und 1964 amtierte Niemöller als Präsident der neugegründeten «Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau», welche die 1933 unter nationalsozialistischem Druck geschaffene «Evangelische Landeskirche Nassau-Hessen» ablöste.
Integration der Heimatvertriebenen.
Die von Ministerpräsident Zinn nach 1950 in Hessen verantwortete Landespolitik hatte zwei charakteristische Merkmale: Sie besaß programmatische Zielvorstellungen und sie war an einer langfristigen Entwicklungsplanung orientiert. Geradezu Symbolcharakter gewann dabei der 1951 verkündete «Hessenplan». Zunächst war damit nichts anderes gewollt als eine bessere Eingliederung der Vertriebenen, die auf Beschluß der alliierten Siegermächte 1945 ihre Heimat in den abgetrennten Ostgebieten des Reiches und den deutschen Siedlungsräumen in Ost- und Südosteuropa verlassen mußten. Hessen sollte laut Ausweisungsplan des Alliierten Kontrollrats eine Quote von 27 % der heimatvertriebenenDeutschen in der amerikanischen Besatzungszone aufnehmen – zunächst etwa 600.000 Menschen, von denen allein im Mai 1946 etwa 80.000 nach Hessen kamen und deren Zahl 1952 die Dreiviertelmillionengrenze erreicht hatte. Die meisten Heimatvertriebenen stammten aus Böhmen, Mähren, Schlesien und dem Sudetenland. Ihre zügige Unterbringung war in dem vom Bombenkrieg verwüsteten Land nicht leicht und ließ sich am ehesten in den relativ unzerstört gebliebenen ländlichen Regionen Nordhessens bewerkstelligen. Dort war zwar Wohnraum vorhanden, aber es gab kaum Arbeitsmöglichkeiten. Der «Hessenplan» ging daher von dem Gedanken einer Zusammenführung von Arbeitsstätten und Wohnorten aus. So wurden in den strukturschwachen nordhessischen Notstandsgebieten, wo die meisten Heimatvertriebenen untergebracht waren, mittels großangelegter finanzieller Investitionen Arbeitsplätze geschaffen. Zugleich wurden viele Heimatvertriebene aus den ländlichen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit in städtische Gemeinden mit günstigerer Arbeitsmarktlage umgesiedelt – mit der Folge, daß dadurch in den ersten Jahren des Wiederaufbaus vor allem im Süden des Landes neuer Wohnraum für zahlreiche Zuwanderer entstand. Eine weitgehende Bevölkerungsumsiedlung und -durchmischung – auch in konfessioneller Hinsicht – war die sich daraus ergebende Konsequenz.
Was zunächst als Notprogramm zur Eingliederung der Heimatvertriebenen in Hessen gedacht war, formte sich mit der Zeit zu einem Landesentwicklungsplan – eine in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Verknüpfung. Insgesamt konnten aufgrund der raumordnerischen Maßnahmen im Rahmen des «Hessenplans» etwa 100.000 Heimatvertriebene mit Arbeitsplätzen und Wohnungen versorgt werden. Relativ gesehen stand Hessen damit hinsichtlich der für die wirtschaftliche Eingliederung der Heimatvertriebenen zur Verfügung gestellten Finanzbeiträge länger als ein Jahrzehnt an der Spitze aller Bundesländer. Die Leistungen der sich zusehends integrierenden Neubürger stärkten darüber hinaus nachhaltig den mittelständischen Charakter der hessischen Wirtschaft. Denn viele Vertriebene brachten aus ihrer alten Heimat spezifische Fertigkeiten, Kenntnisseund Qualifikationen in Berufszweigen mit, die es in dieser Form im neuen hessischen Lebensumfeld bis dahin nicht gegeben hatte – vom Musikinstrumentenbau (Nauheim) bis zur Glaserzeugung (Hadamar). Nach Ausweis der Statistik war im Jahr 1950 jeder sechste Bürger Hessens (= 16,7 %) ein Heimatvertriebener, und für 1953 läßt sich nachweisen, daß bei jeder vierten Heirat in Hessen einer der beiden Ehepartner ein ehemaliger Heimatvertriebener aus den deutschen Ostgebieten gewesen ist.
Wirtschaft und Gesellschaft.
Der
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