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Geschichte Irlands

Geschichte Irlands

Titel: Geschichte Irlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt Stuchtey
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konnten.
    Ideologie und Konfession waren in Fragen der nationalen Identität fest miteinander verzahnt. Schon Francis Plowdens populäre Darstellung
Historical Review of the State of Ireland
(1803), eine Streitschrift gegen die Union, zeugte davon. Die Persönlichkeit O’Connells ging aus einer Mischung von gälischer Verwurzelung und moderner Politisierung des Katholizismus hervor. Er begriff sich als Speerspitze eines nationalen Antikolonialismus in Nachfolge der amerikanischen Revolutionäre. O’Connells Gegenspieler im Norden, der unangefochtene Führer des Protestantismus, war Henry Cooke. In Ulster zog auch er große Menschenmengen an, vor denen er für die Beibehaltung der Union argumentierte. Der Rhetorikprofessor der Universität Belfast stand O’Connells juristischer Schulung skeptisch gegenüber und war für eine Verhärtung der Fronten mitverantwortlich. Als die englische Regierung eine interkonfessionelle Schulbildung auf nationaler Ebene einführen wollte, bekämpfte er diese mit aller Kraft, wie schon zuvor die religiösen Mischehen. Das trug allmählich dazu bei, dass in der religiösen Geographie des irischen Nordostens unsichtbare, aber nahezu irreversible Grenzen gezogen wurden.
    Ein wichtiger Aspekt der demokratischen Massenmobilisierung war ihre Öffnung nach oben. Ab etwa 1820 hatte der katholische niedere Adel in Munster und Leinster ebenso wie das Handelsbürgertum in den südlichen Küstenregionen für sich in Anspruch genommen, einen «liberalen» Katholizismus zu vertreten. Die irischen Katholiken schrieben sich die Botschaft des Separatismus nun erstmals als denkbare Forderung auf ihre Fahnen. Denn mit der Catholic Association war ein Weg geschaffen, über lokale Priester die Basis zu erreichen, während der Dachverband mit Landwirten und einer städtischen Oberschicht aus wohlhabenden Geschäftsleuten, Journalisten und prominenten Rechtsanwälten wie O’Connell bestückt werden konnte.
    Mit dem Gesetz von 1829 hatten die Katholiken das Londoner Establishment erreicht. Für die folgenden Jahrzehnte war es jedoch verhängnisvoll, dass sich ihr Lager in pazifistische Konstitutionalisten und radikale Separatisten spaltete. Die Ersterenunter Führung O’Connells strebten einen Kompromiss mit England an. Das Monster-Meeting in Clontarf im Oktober 1843 sagte O’Connell wieder ab, nachdem die englische Regierung mit einer militärischen Invasion gedroht hatte. In diesem Jahr hatte es bereits zahlreiche derartige Treffen gegeben, in Trim, Limerick, Kells, Cork, Cashel und Mallow, bei denen sich selten weniger als 150.000 Menschen versammelt und gegen die Union protestiert hatten. In Clontarf war erneut ein irischer Gedächtnisort gefunden: Hier hatte der legendäre König Brian Boru 1014 seine Heimat gegen die Normannen verteidigt und war in einer der blutigsten Schlachten der irischen Geschichte gefallen. Ein Kernbegriff des Mittelalters, die Invasion, wurde somit deckungsgleich mit der bekämpften Union von 1801. Aus diesem Grund erhielt die ferne Geschichte so große Macht über die Politik der Gegenwart.
    Thomas Moore, der dem Umkreis von Lord Byron angehörte, machte sich ebendas zunutze. Der Autor der
Irish Melodies
(1807–1834) war wohl der bedeutendste irische Dichter vor dem Zeitalter von Yeats. In dieser Liedersammlung funktionalisierte er historische Motive als politische Symbolträger, allen voran die Harfe. Die kulturelle Einzigartigkeit seines Landes, so Moore, sei das Ergebnis einer Abfolge nationaler Freiheitskämpfer. Solche Rückgriffe auf die Vergangenheit waren nicht zuletzt dem Dilemma geschuldet, dass kaum andere Identitätsangebote zur Verfügung standen, ein Problem, mit dem auch die extrem emotionalisierte Bewegung Young Ireland konfrontiert wurde.
    Unter ihrem Chefideologen und Balladendichter Thomas Davis kämpfte diese Bewegung gegen O’Connells Konstitutionalismus und sorgte für die zunehmende Akzeptanz von Gewalt als politischem Mittel. Die Zeitung
The Nation
wurde ihr Organ, historische Schlachten und Rebellionen beliebte Gegenstände der politischen Debatte. Bemühungen um Ausgleich und Verständigung zwischen Großbritannien und Irland, wie man sie noch eine Generation früher bei der Schriftstellerin Maria Edgeworth in deren Roman
The Absentee
(1812) beobachten konnte, waren nun gründlich gescheitert. Als im

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