Geschichte machen: Roman (German Edition)
verkneifen, daß der Gebrauch von Handfeuerwaffen den höheren Diensträngen vorbehalten ist. Gewehre für die Mannschaften, Pistolen für die Offiziere. Ohne Frage ein lachhafter Brauch, aber so bedauerlich er auch sein mag, nach meinem Dafürhalten sollte man auf solchen Traditionen beharren, ehe sich um uns herum Disziplinlosigkeit ausbreitet wie Typhus.«
»Keine Angst, Hauptmann«, zischte Mend, »diese Pistole ist für dich.«
Sein ratloser Gesichtsausdruck beim Durchziehen des Abzugs war komisch und – auch wenn Rudi kein Unmensch sein wollte – ziemlich jämmerlich.
»Kaputt«, sagte er und klopfte auf das Holster, in dem seine intakte Luger steckte.
Wie vor den Kopf geschlagen stand Mend mitten im Zimmer. Der Abzug klickte immer wieder ins Leere, sooft er auch abdrückte. Schließlich ließ er die Pistole fallen und starrte Rudi an, als träume er. Aller Zorn war aus seinem Gesicht verschwunden.
Rudi ging ohne ein Wort auf ihn zu und streckte die Arme aus wie ein Schlafwandler oder wie ein französischer
Maréchal
, der sich zu einer formvollendeten Umarmung auf dem Exerzierplatz anschickt. Mend leistete keinen Widerstand,als Rudi ihm die Hände um den Hals legte und seine Daumen den Kehlkopf eindrückten.
Mend sagte nichts und machte keine Anstalten, sich zu wehren. Ihm fehlte die Geistesgegenwart, Gloder lautstark zu verfluchen oder um Hilfe zu brüllen. Seine Augen standen voller Tränen und waren unverwandt auf Gloder gerichtet. Ihr Ausdruck hätte beunruhigend oder beschämend sein können, hätte in ihnen nicht auch Gleichgültigkeit – nein, mehr noch: ein Verlangen, eine Begrüßung des Endes gelegen. Die Ganglien und Sehnen seiner Kehle waren weich und nachgiebig wie die Brüste einer Frau. Als er starb, traten seine Augen weit hervor, aber mit dem letzten Keucher schrumpften sie wieder wie Blasen im Schlamm, deren Sumpfgas nicht zum Platzen reicht.
Rudi hatte den Toten auf sein Bett gelegt, die Zwischentür abgeschlossen, war mit dem Umschlag in der Hand aus seinem Büro und durch die Flure gestürzt und hatte laut gejohlt und gelacht.
»Sehen Sie nur, was Stabsgefreiter Mend mir hingelegt hat!« hatte er gerufen, als er in Eckerts Büro platzte. »Wo ist er? Wann war er hier? Dem Boten gebührt der erste Schluck Branntwein!«
Eckert hatte sich erinnert, daß Mend zwei Stunden zuvor die Nachmittagsdepeschen abgeliefert hatte.
»Aber kümmern Sie sich doch nicht um ihn«, sagte der Major. »Ich gratuliere Ihnen, Hauptmann Gloder! Darf ich hinzufügen, daß ich mein Privileg, Empfehlungen auszusprechen, noch nie so genossen habe? Und ich weiß, daß ich in dieser Hinsicht auch für den Herrn Oberst sprechen darf.«
Rudi hatte verlegen gegrinst. »Herr Major, Sie sind zu gütig. Sie alle bringen mir viel zu viel Wohlwollen entgegen. Hoffentlich sprechen keine strategischen Gründe dagegen, am Wochenende die Offiziere und Mannschaften, die gefahrlos von der Front abgezogen werden können, zu einer kleinen Feier einzuladen.
Chez Le Coq d’Or?
Diese Auszeichnunggebührt dem Regiment, und das Regiment sollte auch belohnt werden. Offiziere und Mannschaften gleichermaßen.«
»Sie sind ein guter Kerl«, sagte Eckert, »und Ihre Leutseligkeit den unteren Diensträngen gegenüber in allen Ehren, aber einem Adjutanten geziemt keine übertriebene Kameradschaftlichkeit.« Lächelnd fügte er hinzu: »Geschweige denn einem Adjutanten, der kurz vor der Beförderung steht.«
»Herr Major!« Rudi holte überrascht Luft.
»Schon gut! Es ist kein Geheimnis, daß man Sie im Stabshauptquartier schon seit geraumer Zeit im Auge hat. Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen …«, Eckert schnitt Rudi mit einer Handbewegung das Wort ab, »… Sie wollen an vorderster Front bleiben und mit den Männern zusammen kämpfen. Das verdient Respekt, aber intelligente Männer mit einem gerüttelt Maß an Erfahrung werden hinter der Front oft dringender gebraucht.«
Als der Tag zur Neige ging, war Gloder zu seinen Zimmern hochgegangen. Er hatte sich vorne in den Schützengräben nach Mend erkundigt, aber nur zu hören bekommen, er sei nicht da und versähe wohl irgendwo anders seinen Dienst. Meldegänger waren zwangsläufig immer unterwegs. Rudi war daher am Spätnachmittag zurückgekommen, der Rücken tat ihm weh vom Schulterklopfen der Gratulanten, und den Männern in der Wachstube hatte er zwei Flaschen Schnaps spendiert, bevor er sich zur Ruhe begeben hatte.
Jetzt saß er am Schreibtisch, die Tür zur Kammer
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