Geschichte machen: Roman (German Edition)
Michael, das ist das A und O. Wann wirst du bloß endlich einsehen, daß du genausoviel Recht wie die übrige Menschheit hast, auf der Welt zu sein. Du brauchst ein neues Image: mehr Würde, mehr Gravitas, du mußt dein Auftreten mit deiner neuen Stellung in Einklang bringen …
Diese aufmunternden Gedanken wurden von Rumpeln, Poltern und Kreischen unterbrochen, als ich in der Ecke des Innenhofs am offenen, steinernen Torbogen zum Treppenhaus F vorbeikam. Ein quietschender Schatten schoß an mir vorbei und trampelte über den Rasen. Er schleppte einen Stapel CDs, eine Gipsbüste, drei Samtkissen und ein zusammengerolltes Poster. Ich kannte die Gestalt. Das war Edward Edwards, Double Eddie, jemand, der definitiv noch weniger Recht als ich hatte, den Rasen zu betreten. Er war der Mitbewohner und Lebenspartner eines weiteren Studenten im zweiten Jahr, James McDonells. Beide stellten mich gernbloß, indem sie mir hinterherpfiffen, »Potztausend!« oder »Scheiße mit Reiße« oder sonst einen Blödsinn nachriefen. Ein wirklich süßes Pärchen, das aber zu hysterischen Szenen neigte und Gerüchte über die höhere Tugend ihrer Sexualität verbreitete.
Double Eddie verteilte Unmengen von CDs auf dem Rasen.
»He!« rief ich ihm nach. »Du hast was fallen lassen!«
Double Eddie drehte sich nicht um und verlangsamte auch nicht. Er kehrte mir seinen zornigen Rücken zu, sagte bloß »mir doch egal« und zog die Nase hoch.
Ach je, dachte ich. Schon wieder Beziehungskrach. Ich folgte ihm und betrat zaghaft den Rasen wie ein pflichtbewußter Vater, der prüft, ob die Eisdecke das Gewicht seiner Kinder trägt.
Hinter uns kreischte eine helle und klare Stimme los und hallte von Gemäuer und Fenstern des Courts wider. Ich sah mich um und erkannte James, der mit blitzenden Augen und in die Hüften gestemmten Armen in der Tür von Treppenhaus F stand.
»
Mensch, komm doch zurück!
« schrie er.
Double Eddie lief weiter. »Niemals!« rief er, ohne sich auch nur umzusehen. »Niemals, niemals, niemals, niemals, niemals!«
»
Oi!
«
Bill der Pförtner war mit grimmiger Miene aus seinem Kabuff getreten. »Meine Herren, seien Sie so gut und verlassen Sie den Rasen.«
Da Double Eddie bereits am gegenüberliegenden Rasenrand angekommen war und Bill sowieso unzweideutig im Plural gesprochen hatte, kannte ich nunmehr die Antwort auf meine Frage nach den Junior Bye Fellows und dem Rasen. Verboten.
Während Double Eddie an der Pförtnerloge vorbeistolzierte und erfolglos versuchte, unbeschwert vor sich hin zupfeifen, sammelte ich die fallen gelassenen CDs auf und lief unter dem Blick des Pförtners knallrot an.
»Tut mir leid«, murmelte ich, »ich muß bloß eben …«
Bill nickte verbissen; ich war ihm zu hektisch und trotzdem nicht schnell genug. »
Festina lente. Eile mit Weile
«, brabbelte ich vor mich hin. Als Akademiker und unter Druck muß man mit lateinischen Phrasen und Fremdsprachen um sich werfen. Das stärkt das Ego. Oder auch nicht.
Ungeschickt sammelte ich Cabaret, Gypsy, Carousel, Sweeney Todd und den Rest ein und trippelte schnell zu James zurück, der mit Tränen in den Augen am Türrahmen lehnte.
»Ähm, hier, da hast du …«
Seine Hand wehrte ab. »
Ich
will mit dem Scheiß nichts zu tun haben. Von mir aus kannst du die alle verbrennen.«
Ich legte ihm eine Hand auf die bebende Schulter. »Ich bewahr sie erst mal für euch auf. Hey, tut mir leid«, sagte ich. »Das ist echt scheiße, wenn man den Laufpaß bekommt.« Er reagierte nicht, also ließ ich ihn in den geballten Genuß meiner Lebensweisheit kommen: »Ich weiß, wie das ist, Mann. Weißte, ich bin auch grade in die Wüste geschickt worden.«
Er starrte mich an wie einen Wahnsinnigen. Gleich würde er mir erklären, daß das mit seinem Fall überhaupt nicht zu vergleichen sei. Statt dessen jammerte er nur, das sei einfach nicht fair. Dann drehte er sich um, stapfte die Treppe hoch und ließ mich mit den CDs stehen.
Er hat recht, dachte ich, als ich meine Schnürsenkel trübselig durch den Torbogen schleifen ließ und auf den Parkplatz einbog, es ist wirklich nicht fair. Sitzengelassen zu werden, ist nun wirklich das Letzte. Die Hauptsache ist dann, die Demütigung vom Verlust zu trennen. Man weiß ja nie, was einen stärker quält: der Schmerz, ohne den geliebten Menschen weitermachen zu müssen, oder die Blamage, sich die Zurückweisung einzugestehen. Ich hatte schon mit demGedanken gespielt, Jane zurückzuerobern, damit
ich
dann Schluß machen
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