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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Blättern und dem gestrandeten Fisch einer toten Aktentasche mit aufgesperrtem Rachen hin und her.
    Als wir alle auf den ersten Blick sichtbaren Blätter eingesammelt hatten, schaute ich noch unter allen Autos nach und sah kurz darauf so einmalig dreckig, blutig und aufgeschürft aus, wie ich mich fühlte. Die letzte Seite lag mit der Schrift nach unten auf der Kühlerhaube der Clio und klebte am trocknenden Tippex. Ich pulte sie sorgfältig ab.
    Diese Katastrophe warf mich natürlich nur um einen Tag zurück. Zu Hause in Newnham hatte ich schließlich den ganzen Text auf der Festplatte, aber plötzlich stand alles untereinem Unstern. Jetzt mußte ich noch einmal los und fünfhundert Blatt Papier für den Laserdrucker besorgen und … na ja, ich fand einfach, daß dadurch der Lack irgendwie ab war. Der Umtrunk gestern abend, der Châteauneuf du Pape für 62 Pfund, das Freiheitsgefühl, als ich in die Stadt geradelt war … alles verfrüht.
    Eine Wolke verdunkelte die Sonne, und ich fröstelte. Der alte Mann stand reglos da und starrte eine Seite des Meisterwerks an.
    »Ganz herzlichen Dank«, keuchte ich rot angelaufen. »Wirklich zu blöd. Brauch dringend ’ne neue Aktentasche.«
    Er sah auf und betrachtete mich mit einem Blick, den ich schon damals einfach monumental fand. Etwas absolut Ewiges und Unaussprechliches lag darin.
    Mit einer steifen Verbeugung reichte er mir die Seite, die er überflogen hatte. Es war Seite 49 aus Teil I, der den Zeitraum von Alois’ Legitimation bis zu seiner Eheschließung mit Klara Pölzl abdeckte.
    »Darf ich fragen, was das ist?« erkundigte er sich.
    »Das ist, ähm, meine Dissertation«, sagte ich.
    »Sie sind Doktorand?«
    Diesem erstaunten Tonfall begegnete ich nicht zum erstenmal. Für einen Doktoranden sah ich einfach zu jung aus. Im Grunde genommen sehe ich sogar für einen
Studenten
zu jung aus. Vielleicht sollte ich mir doch wieder einen Bart stehen lassen. Falls ich diesmal genug Testosteron aufbrächte. Letztes Jahr hatte ich das versucht und mich dermaßen zum Gespött gemacht, daß ich am liebsten vor Scham im Erdboden versunken wäre. Ich wurde wieder rot und nickte.
    »Warum?« fragte er mit einem Nicken in Richtung des Blatts in seiner Hand.
    »Wie bitte?«
    »Warum dieses Thema? Warum?«
    »
Warum?
«
    »Ja. Warum?«
    »Ja, wissen Sie …«
    Als ob nicht alle Welt wüßte, wie man sich als Historiker ein Dissertationsthema besorgt. Man sucht in den Bibliotheken fieberhaft nach einer Fragestellung, die noch niemand beackert hat, oder zumindest nach einem Thema, worüber in den letzten zwanzig Jahren nicht gearbeitet worden ist, und das schnappt man sich dann. Für dieses eine Flöz steckt man seinen Claim ab. Das weiß doch jeder. Aber der Blick des alten Mannes war von so undurchdringlichem Ernst, daß ich nicht wußte, wo ich bei meiner Antwort ansetzen sollte, also zuckte ich nur hilflos die Schultern und sah dümmlich lächelnd zu Boden. Jane machte mich wegen dieser albernen Angewohnheit regelmäßig zur Schnecke, aber ich konnte einfach nicht anders.
    »Wie heißen Sie?« fragte er, nicht etwa barsch, als wolle er mich gleich anzeigen, sondern eher ein bißchen verwirrt, mit leichtem Heben der Stimme, als sei er überrascht und etwas erschrocken, meinen Namen nicht schon viel früher erfahren zu haben.
    »Michael Young.«
    »Michael Young«, wiederholte er, erneut leicht verwirrt. »Und Sie sind Doktorand an diesem College?« Ich nickte, und er sah in die Wolken hinauf, die hinter mir die Sonne verbargen. »Ich kann Ihr Gesicht nicht richtig erkennen«, sagte er.
    »Oh«, sagte ich, »entschuldigen Sie bitte.« Ich trat zur Seite, so daß er nicht mehr geblendet wurde.
    Völlig surreal. Was
war
er denn, ein Schönheitschirurg? Ein Porträtmaler? Was hatte denn mein Gesicht mit der ganzen Angelegenheit zu tun?
    »Nein. Nein. Die Sonnenbrille.« Mit Betonung auf der dritten Silbe, eindeutig ein Deutscher, eventuell mit östlichem oder südlichem Einschlag.
    Ich nahm die Killerbrille ab, wurde dadurch noch verlegener, und wir standen nur da und sahen uns an. Oder besser, ersah mich an, und ich warf ihm wie Lady Di verstohlene Blicke unter den Wimpern hervor zu.
    Er war, wie gesagt, bärtig und alt. Ein furchiges Gesicht, das viel erlebt hatte, dessen genaues Alter sich jedoch nicht bestimmen ließ. Akademiker altern anders als der Rest der Welt. Die einen bleiben bis in ihre Siebziger unnatürlich glatt und jugendlich, knabenhafte, rotblonde

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