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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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genug, aber so setzte es die beschissenste Ereigniskette (oder Nichtereigniskette) der ganzen Menschheitsgeschichte in Gang. Aber damals wußte ich das natürlich noch nicht. Damals war ich einfach nur am Boden zerstört. Es war an und für sich schon schlimm genug, auch ohne das Bewußtsein, daß das Schicksal von Millionen Menschenleben von diesem Ereignis abhing, auch ohne den blassesten Schimmer, daß ich die Explosion der ganzen mir bekannten Geschichte in Gang setzte.
    Das Ganze lief folgendermaßen. Ausgerechnet in dem Augenblick, als ich meine Tasche am Griff anheben wollte, gab der Schnappverschluß, den jahrelanges Anfassen, Tragen, Ziehen, Drücken, Zerren, Treten, Werfen und Schleppen abgenutzt hatten, seinen Geist auf. Vielleicht lag es an der ungewohnten Belastung durch Double Eddies CDs, meine Kassetten, das Meisterwerk und das falsch zugestellte Päckchen vom Seligmanns Verlag. Wer weiß. Das dreilagige Messingplättchen, in dem die Lasche des Schnappverschlusses einrastete, löste sich aus seiner ausgeleierten, festgetackerten Verankerung, riß den verfallenen Schlund der Tasche auf und entließ vierhundert lose Seiten säuberlich argumentierter, penibel recherchierter, innovativ präsentierter und elegant formulierterhistorischer Thesen in die wirbelnden Tornados der Maibrise, die über den Parkplatz säuselte.
    »O
nein!
« heulte ich auf.
    »Bitte nicht! Nein, nein, nein, nein, nein, nein!« Ich sauste hin und her und führte mich im Blattgestöber auf wie ein Kätzchen, das nach Schneeflocken hascht.
    Es gibt eine Fernsehsendung, in der Stars das mit Geld machen. Eintausend Scheine gültiger Währung werden von einem Gebläse in die Luft gewirbelt, und die Stars müssen möglichst viele davon einsammeln.
Schnapp den Schein
heißt die Sendung. Wird von diesem Typ moderiert, der wie Kenneth Branagh als bärtiger Shakespeare-Darsteller aussieht. Edmunds, Noel Edmunds. Vielleicht auch Edmonds.
    Der größte Teil des Inhaltsverzeichnisses war in einem Packen unter den Rädern von meinem / Janes Renault gelandet. Der Rest, der dicke Stoß des edlen Werks einschließlich Anhängen, Tabellen, Bibliographie, Register und Danksagungen flatterte durch die Lüfte.
    Mit krummem Rücken drückte ich die bereits geretteten Seiten an die Brust und stolperte von einem Papierwirbel zum nächsten, klammerte und krallte mich wie eine Silbermöwe daran fest. Jaja, schon gut, ich kann nicht gleichzeitig ein nach Schneeflocken haschendes Kätzchen und eine Silbermöwe gewesen sein.
    »Heiliger Scheißstrohsack,
nein!
Bleibt gefälligst liegen, ihr Arschlöcher«, kreischte ich. »
Bitte!
«
    Aber ich war nicht allein.
    »Ach du liebe Zeit. So ein Pech aber auch.« Ich wandte mich um und sah einen älteren Herrn, der langsam über den Parkplatz ging und ruhig eine Seite nach der anderen auflas.
    In meinem Fieber, meiner Raserei und obwohl ich allen Grund hatte, ihm für seine Mithilfe dankbar zu sein, dachte ich, ›der hat gut reden‹, denn egal wohin er sich wandte, die Winde schienen besänftigt, die Blätter flatterten leblos zu Boden und warteten nur darauf, daß er sie aufsammelte. Dasging doch nicht mit rechten Dingen zu. Ich blieb stehen, starrte ihn an und sah,
daß
es ging. Es ging sogar sehr gut. Wohin er auch ging, vor ihm legten sich die Winde. Wie der Hexenmeister, der in der Zauberlehrlingsszene von
Fantasia
die Besen und das Geschirr beschwichtigt. Wodurch ich natürlich als Micky Maus dastand.
    Der alte Mann wandte sich mir zu. »Es veht veniger, venn Sie den Vind hinter sich haben«, sagte er mit deutschem Akzent, »dann liegt das Papier in Ihrem Vindschatten.«
    »Aha«, sagte ich. »Danke. Stimmt. Vielen Dank.«
    »Und vielleicht sollten Sie Ihre Schuhe zubinden.«
    Die Klugscheißer sterben nicht aus, stimmt’s? Irgend jemand stellt Sie immer auf eine Weise bloß, als wären Sie der letzte Depp. Mein Vater war genauso, bis er endlich einsah, daß es vergebliche Liebesmüh war, mir auch nur die Grundlagen des Tischlerns oder Segelns beibringen zu wollen. Er starb leider, bevor ich mich revanchieren und das geringste Interesse entwickeln konnte. Mein heutiger Klugscheißer trug einen Bart, zog dem Branagh-Shakespeare allerdings das Tolstoische Modell vor, lief weiterhin gelassen über den Parkplatz und sammelte lose Blätter ein, die sich auf sein Geheiß hinlegten und totstellten.
    Seine »Vindschatten«-Methode zahlte sich auch bei mir einigermaßen aus, und wir pendelten zwischen den verstreuten

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