Geschichte machen: Roman (German Edition)
Alan-Bennett-Typen, und auf diese Weise hoffte ich zu reifen. Die anderen kommen vorzeitig in die Jahre, starren, blinzeln und bewegen sich schon bucklig wie Bibliotheksmäuse, lange bevor sie die Vierzig erreicht haben. Dieser Mann erinnerte mich an das Foto von … war das nun Häuptling Joseph? Oder Geronimo? Irgendeiner von denen. Und W. H. Auden in seinen Sechzigern sowieso. Das wieder brachte mich auf David Hockney, der, als er den greisen Auden erstmals zu Gesicht bekam, gesagt haben soll: »Menschenskind, wenn das sein Gesicht ist, wie muß dann erst sein Skrotum aussehen?« Nach den Felsen und Schluchten auf der Stirn dieses Mannes zu urteilen, mußte er eine Art Wirsing in der Hose baumeln haben. Sein Bart war an den Wurzeln weiß und wurde zu den zotteligen Drahtsträhnen hin stufenweise mittelgrau.
Ich weiß nicht, was er im Gegenzug vor sich sah: einen Vierundzwanzigjährigen mit vollständiger Behaarung, aber keiner im Gesicht, und ja, gut, verflixt noch mal, mit einer Baseballmütze. Aber was er sah, genügte ihm jedenfalls, um mir seine rechte Hand hinzuhalten.
»Leo Zuckermann«, sagte er.
»
Professor
Zuckermann?« Mach die Biege. Der Mann höchstpersönlich.
»Ich bin Professor, ja.«
»Ach nein. Aha. Äh, dann hab ich nämlich etwas für Sie.« Das Päckchen vom Seligmanns Verlag lag mit der Adresse nach unten auf dem Parkplatz. Ich hob es auf, wischte etwas Dreck ab und reichte es ihm. »Das war in meinem Postfach, und das liegt genau über Ihrem. Ihrs war voll, deshalb …«
»Ach richtig. Xenakis, Young, Zuckermann. X, Y, Z.« Er sagte »zee«, nicht »zed«, was seinem Akzent einen amerikanischen Einschlag gab. »Das tut mir sehr leid. Ich leere meine Postfächer mit sträflicher Nachlässigkeit.«
»Halb so wild. Schon in Ordnung.«
»Hoffentlich nicht Ihre einzige Kopie?« fragte er und deutete auf das Tohuwabohu in meiner Mappe. »Sie haben bestimmt noch eine Backup-Kopie auf Diskette.«
»Mhm. Trotzdem ärgerlich.«
»Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort.«
»Wie bitte?«
»Sie zeigen wenig Gelassenheit, wenn Sie einen Korb bekommen.« Er zeigte lächelnd auf die Kühlerhaube der Clio und meine Liebesbotschaft.
»Stimmt«, sagte ich. »Kindisch.«
Er sah mich prüfend an. »Ich schätze, Sie sind ein Kaffeemensch.«
»Ein Kaffeemensch?«
»Sie können nicht stillsitzen, wenn Sie aufgeregt sind, sondern werden zappelig. Ein Kaffeemensch. Ich hingegen bin ein Schokoladenmensch. Darf ich Sie wohl baldmöglichst bei mir willkommen heißen? Zum Kaffee?«
»Kaffee? Klar. Mm. Yeah. Warum nicht? Nur zu gern. Danke. Jederzeit. Klasse.« Aus der Litanei britischer Höflichkeitsfloskeln hatte ich nur »wie nett« und »sehr liebenswürdig« ausgelassen.
»Wann paßt es Ihnen denn am besten? Um welche Uhrzeit? Ich habe heute den ganzen Nachmittag frei.«
»Ähm … ach, heute nachmittag? Heute? Aber sicher! Yeah. Sehr liebenswürdig. Das wäre großartig. Ich … ich muß das hier nur noch einmal ausdrucken, aber danach …«
»Sagen wir gegen halb fünf?«
»Paßt mir prima, danke. Und vielen Dank für die Hilfe beim … Sie wissen schon. Danke schön.«
»Ich glaube, Sie haben sich jetzt genug bedankt.«
»Bitte? Ach so. Ja. Tut mir leid.«
»Tschisch!« sagte er.
Jedenfalls hörte es sich an wie »tschisch« und brachte vermutlich die Belustigung des Ausländers über die englische Unfähigkeit zum Ausdruck, mit den Danksagungen und Entschuldigungen wieder aufzuhören, wenn man einmal richtig losgelegt hat.
Wir entfernten uns rückwärts voneinander, wie Akademiker das so machen.
»Bis um halb fünf dann«, sagte ich.
»Hawthorn Tree Court«, sagte er, »2A.«
»Genau«, sagte ich. »Danke. Ich meine, Entschuldigung. Sehr nett von Ihnen. Cool.«
Liebe machen
Federn, Pfoten und Pelz
Klara lag unter ihm und dachte an Gänseblümchen. Gänseblümchen, Kuhglocken, Milcheimer, Heu, den Mondseechor in der Ostermesse, egal was, Hauptsache, es lenkte sie von dem Gestank, dem Gewicht und dem Grunzen des Bastards ab, der sich auf ihr herumwälzte.
Seine ersten beiden Frauen hatten sich offenbar mit ihm abgefunden, so wie sie es auch geschafft hatten, ihm Kinder zu schenken, die nicht gleich wieder gestorben waren. Vielleicht klappte es ja diesmal, dachte sie. Heute nacht. Anders als bei der armen Frieda Braun, die am Nachmittag eine Fehlgeburt gehabt hatte, als sie an der Zisterne Wasser holen wollte, der entsetzliche Gestank ihr in die Nase gestiegen war und sie
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